Vor der Bühne 04 – Krise, Kapital, Krankheit

Die Krise ist der verschlagwortete Golem, der sich drohend vor jedes Küchenfenster zu schieben scheint. Eine verbildlichte Angst oder Bedrohung, die einen Schatten in den Innenraum unserer politischen Handlungsmöglichkeiten – der Handlungsmöglichkeiten eines und einer jeden Einzelnen wirft. Furcht, Paralyse… Gegenwehr – die Palette der subjektiven Strategien richtet sich nach dem jeweiligen Diktum dieser Krise, seltener nach deren Ursprüngen, Gründen und Auswirkungen. Dabei ist eine Krise eigentlich immer ein Komplex aus Krisen, nicht eine singulare Erscheinung, nicht ein trending hashtag. Wenn wir von der Corona-Krise sprechen, dürfen wir nicht (nur) von einem Virus sprechen, der, wer hätte das gedacht, sich in Windeseile in einer globalisierten Welt ausbreitet und ja – die Leben vieler Menschen bedroht – sondern auch, vielleicht vielmehr von der in ihr steckenden Krise unserer Gesundheitssysteme, die unter dem Zwang personeller und struktureller Einsparungen nicht in der Lage sind, dieser Gefahr adäquat zu begegnen. In England haben noch vor knapp zwei Wochen die Reinigungskräfte eines Krankenhaus in Lewisham gestreikt. Sie wussten nicht nur was vor ihnen liegt, sondern was sie längst alles haben bewältigen müssen – bei geringer Vergütung, schlechter Sicherheit und prekären Anstellungsverhältnissen. Das englische Gesundheitssystem wurde in den letzten Jahren so zurecht gespart, dass es im Zuge dieser Pandemie zu einer Todesfalle für nicht wenige Menschen werden wird. Die Millionen an Zuschüssen, die jetzt binnen kürzester Zeit zur Stabilisierung locker gemacht wurden und werden, sind eine schwache Korrektur. Sie sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie schlichtweg zu spät kommen. Die Streiks und Proteste der letzten Jahre von Reinigungs- und Pflegekräften in England und ganz Europa sind nicht nur ein Aufbäumen gegen die gängige Ausbeutung, sie stellen innerhalb der Krise auch die Systemfrage: people before profit?!

Hammertime

But who cares? Es ist ja England (oder die USA, Italien, Spanien,…) nicht Deutschland (bitte hier Ihr Land einfügen, je nach Google-Standort). Ein weitere Krise in dieser Krise, ist die Verschiebung geistiger und empathischer Horizonte entlang nationaler Grenzen, wie es keine „Flüchtlingskrise“ vorab vermögen konnte. Absurderweise bei einer viralen Bedrohung, die sich entlang unserer globalen Ströme und sozialen Gewohnheiten durch jede physische Grenze tänzelnd hindurch bewegt. Die aktuellen Abschottungsmaßnahmen der meisten Staaten sind mehr Symbolpolitik als ernsthafte Präventionsmaßnahmen. Sie sind Ausdruck eines schlecht bestückten Werkzeugkoffers, bei dem allein der Hammer und das Hammerschwingen vorgeben, eine Alarmanlage installieren zu können und ein einbruchssicheres Heim zu errichten. Und wem möchte man diese Gesten verübeln? In Zeiten allgemeiner Verunsicherung müssen die politischen Verantwortlichen Handlungsfähigkeit und Kontrolle suggerieren. Wir honorieren das und mehr noch: wir machen das alles mit.

#stayathome

Zuhause bleiben mag aktuell das Vernünftigste sein um den drohenden Kollaps unseres Gesundheitssystems abzuwenden bzw. die zukünftige Versorgung der medizinischen Notfälle zu garantieren. Die Zustände in (Nord)Italien sind uns mahnendes und drohendes Beispiel. Es sollte uns aber nicht davon abhalten, an den Tag zu denken, an dem wir uns wieder außerhalb der eigenen vier Wände und auch der digitalen Blasen – ohne die aktuellen staatlichen Einschränkungen bewegen können. Wir sollten sogar daran appellieren! Der Katalog an Repressalien unserer bürgerlichen Rechte ist umfassend. Die Angst um die eigene Gesundheit oder die der Angehörigen, sollte nicht die Sorge um eine freiheitliche Gesellschaft vernebeln. Dieser Zustand darf weder andauern noch zyklisch mit jeder neuen etwaigen Bedrohung reakiviert werden. Wenn der Ausnahmezustand normalisiert wird, führt das zu einer Konditionierung und Parzellierung des demokratischen Denkens. Kritische Stimmen werden gesellschaftlich vereinzelt und somit handlungsunfähig (und ich spreche nicht vom Wutbürger-Reflex).

„Keiner hat nen Job, alle haben Langeweile. Ich hatte eh nie Bock, eure Parties fand ich scheisse. So ist das hier im Block – fünf Leute, ein Zimmer. Man muss sich entscheiden, was ist schlimmer.“

Haszcara /“Gute Arbeit“Remix

 

The boogyman

Eine virale Bedrohung für den menschlichen Organismus ist kein Phantasma. Es gibt sie. Die Wahrnehmung und Angst vor Pandemien, die unzählige Menschenleben kosten, ist verständlich und historisch gewachsen – von der mittelalterlichen Pest bis zur Spanischen Grippe anfang des letzten Jahrhunderts bis zu HIV und Ebola. Sie ist zudem in den letzten Jahrzehnten in der Populärkultur in allen erdenklichen Versionen ausgestaltet worden, vom Ebola-Slasher bis zum Zombie-Fallout – an Horrorszenarien mangelt es nicht. Dabei schiebt sich diese aktuelle Krise übermächtig vor alle „vorangehenden“ Krisen: die „Flüchtlingkrise“, die „Umweltkrise“, die Legitimationskrise der liberalen Demokratien, den fortwährenden Rassismus, den modernen Kapitalismus. Während wir, als staatlich verbriefte (EU)Bürger*innen mit unseren Ängsten konfrontiert sind und begreifen wollen, was da gerade passiert, verlieren wir den Blick für die zigtausend Hilfesuchenden an und innerhalb der europäischen Grenzen. Das überfüllte Camp Moria auf Lesbos und die griechisch-türkische Grenzregion ist schon jetzt ein Mahnmal für das Scheitern aller humanistischen Werte, die die EU und seine Staaten eigentlich gerne propagieren. Die Menschen werden in größter Not sich selbst überlassen. Die Folgen daraus werden in neue Krisen münden.

Die Umweltverschmutzung und Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen wie auch unserer Arbeitskraft ist jetzt auch nicht einfach ausgesetzt, wenn auch punktuell verlangsamt. Die Probleme bestehen weiter und pressen sich mit Gewalt zurück ins aktuelle Geschehen. Sinnlose Hamsterkäufe und prosperierende Schwarzmärkte für Schutzutensilien – der emotionale Kapitalismus passt sich scheinbar jeder Gemengenlage an. In der subjektiven Not offenbart sich die Unfähigkeit großer Teile unserer Gesellschaft überhaupt so etwas wie Gesellschaft zu denken. Wo sind die „Fridays for future“? Wo die dringend notwendigen großen antirassistischen Bewegungen und Demonstrationen? Der terroristische Anschlag in Hanau ist kaum mehr als einen Monat alt. Ein Trauma und keine Zeit es zu verarbeiten. Auch hier werden die betroffenen Menschen vom Staat und weiten Teilen unserer Gesellschaft alleine gelassen. Demos, Interventionen, Austausch sind untersagt oder in die digitale Sphäre verbannt. Die Corona-Krise zwingt alle Aktiven auf die Couch.

Ist der Ruf erst ruiniert…

Nach all den Bauernweisheiten zu guter Letzt etwas, von dem ich glaube es wirklich zu verstehen und davon sprechen zu können: die Krise für uns – persönlich! Selbstständige, Freischaffende, Künstler*innen, Kulturschaffende, Theatermacher*innen, you name it. Die Kulturindustrie (und als diese muss man sie gerade begreifen, so weitreichend sind die Ausfälle), leidet extrem unter diesem Krisenzustand. Jobs wurden verschoben oder abgesagt, Jobperspektiven abgeflacht. Die Wenigsten können auf ein finanzielles backup setzen oder wenn dann nicht lange. Es mag die politisch Verantwortlichen ehren, dass die Lage der Selbstständigen frühzeitig Erwähnung fand und die staatlichen Hilfen inzwischen zugesagt und online sind (Antrags-Stand Freitag abend, Berlin: „Anzahl von Nutzern vor Ihnen: 93473“. Na Prost Mahlzeit!). Es wird aber kaum ausreichen oder darüber hinwegtäuschen, dass die Verdienstausfälle und die schwammige Post-Corona-Perspektive so einige Existenzen wirtschaftlich zerstören werden.

Wie systemrelevant das Theater ist, wurde uns jetzt merklich bewusst gemacht. Die Debatte wie systemkritisch es ist oder sein sollte, können wir gerade nur begrenzt führen. Denn das misst sich nun einmal hauptsächlich an den Produktionsprozessen und -ergebnissen an bzw. in den Häusern.

Wir können uns jetzt in leidiger Selbstbetrachtung wälzen, unnütze auf Vintage-Flohmärkten erstandene Gadgets auf ebay kleinanzeigen wieder verkaufen ODER die vielen tollen Online-Initiativen und Kanäle vieler Theater und Theaterschaffender nutzen und bespielen (z.B. Katastrophe als Chance, StayVisibleWithPlot,…). Von passiv bis aktiv ist alles drin. Wenn auch bei nicht wenigen das Betreuen und homeschooling der eigenen Kinder den Löwenanteil des Tages einnehmen wird – die Frage ob man jetzt das Netz als die kreative Ersatzspielstätte begeistern kann, erübrigt sich damit oft schon.

Was also tun? Man kann nicht müde werden zu sagen: seid solidarisch! Tauscht Euch aus, diskutiert und organisiert Euch in Interessengruppen, Verbänden oder Gewerkschaften. Vom Bund der Szenografen, dem ensemble-Netzwerk, art but fair bis hinzu der FAU und verdi. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten. Es erlöst Euch vom Stigma des Einzelkämpfertum und hilft Euch womöglich das eine oder andere ausgesetzte Honorar einzufordern, Verträge nachzuverhandeln, die eine oder andere wichtige Debatte anzustossen oder kritisch zu begleiten und letztendlich Euren Berufsstand souveräner aufzustellen. Mehr noch: die prekären Verhältnisse teilen wir mit unzähligen anderen Berufsgruppen. Diese Krise trifft auch besonders Alleinerziehende, Menschen mit körperlichen Einschränkungen, ohne ausreichenden Versicherungsschutz, Obdachlose, Geflüchtete und Illegalisierte. Bei aller Not, die nächsten Mieten aufzubringen, sollten wir nicht die Menschen um uns herum vergessen. Wir sollten nicht vergessen, dass die Spar- und Austeritätspolitik der letzten Jahrzehnte unsere Gesundheits- und Sozialsysteme in den europäischen und vielen anderen Ländern erst so anfällig für eine solche Pandemie gemacht hat. Wir sollten unsere Held*innen in den Krankenhäusern nicht beklatschen, sondern ihre seit Jahren andauernden Arbeitskämpfe unterstützen. Wir sollten nicht vergessen, das es kein nationales Heilmittel gibt, sondern transnationale gegenseitige Hilfe nötig ist.

Wir sollten nicht vergessen, dass Isolation krank macht und dieser Zustand nicht andauern darf.

In diesem Sinne: Bleibt gesund, bleibt solidarisch, bleibt kritisch. Leave no one behind.

 

Eine Sammlung von hilfreichen links mit/und Übersichten zu aktuellen Hilfsprogrammen:

https://padlet.com/kreativedeutschland/zu41puas9yk3

https://www.ibb.de/de/foerderprogramme/corona-zuschuss.html

https://www.theapolis.de/de/news/show/wo-es-jetzt-finanzielle-hilfen-gibt

https://www.betterplace.org/de/projects/77979-500-soforthilfe-fur-theaterschaffende

II Support

https://seebruecke.org/leavenoonebehind/aktionen/

https://www.startnext.com/whatever-you-take