Vor der Bühne 01 – In deutschen Nächten sind alle Katzen grau
Ob es der einsetzenden Sehschwäche oder der nahenden Nacht zu schulden sei, lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Lohnt vielleicht auch nicht. Der alte graue Kater schiebt sich durch die Gassen, angeschlagen aber stolz – die eigene Vergangenheit zieht Revue. Den Schwanz zum Markieren anheben fällt ihm sichtlich schwerer, war es ihm doch früher das ureigenste Vergnügen. Wenn der Kater jetzt seine Stimme erhebt, zur Klagepredigt, zum Weltverdonnern, zum Mahnen der Apokalypse und seiner eigenen schwindenden Größe – so bleibt er nicht gänzlich alleine und doch ganz bei sich. Pflichtgefühl und Unvermögen erfüllen den deutschen Kater, Groll und Frust treiben ihn an – gegen jene, die nicht so sind wie er, jünger, älter, klüger, anders. Sein schriller Gossengesang sucht sich sein Publikum, die Freiwilligen und die Unfreiwilligen. Links und rechts schließen ein paar Fenster, Andere hören eh nicht gut. Hin und wieder fliegt ein Schuh in Richtung der Pilgerstätte. Es sind viele wie er, die sich mit jeder Nacht zusammenrotten, dem Tod nochmal ein Schnippchen schlagen, zum Wutorchester vereinen. Ihre Herzschrittmacher – die deutsche Idee – auf Hochtouren, stimmen sie Celine Dions Havarien an – oder war es Helene Fischer, oder Freiwild? Schwer zu sagen, es graut überall.
When there is no more brain in the head, the dead will walk the earth.
Wo kommen sie nur alle her, aus was für Löchern und warum? Ist es, dass Totgeglaubte länger leben oder Totgewünschte einfach länger sterben?! Die deutsche Idee, dieses vage wie irre Konstrukt, hält sich oder muss herhalten für das kollektive Unvermögen eine Welt zu verstehen, in der es mehr Perspektiven gibt als nur das Phantasma deutscher Tugendhaftigkeit. Die Repräsentanzen verändern sich, das ist nur folgerichtig. Die wahnhafte Besinnung auf das Nationale ist dabei wie ein hysterischer Aufschrei von Menschen, die selbst keine Ideen mehr formulieren können. Das Ganze zu lange als Autoimmunreaktion besorgter Bürger zu verklären und somit auch noch die Parolen der Rassisten zu beflügeln, war und ist die Schwäche der politischen Repräsentanten. Und hierin liegt die traurige wie gefährliche Dimension: die Geschichte scheint zur Wiederholung verdammt. Die Parallelen zu den völkischen Bewegungen vergangener Tage sind offensichtlich. „The Walking Deutsch“, wie Kobito treffend feststellt. Traditionen werden wieder gepflegt. Es wird gezündelt, getreten und bald wieder gemordet like it’s 1993. Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen (die unrühmliche Prominenz in der Liste rechten Terrors der Neunziger) – heute Freital, Nauen, Bischofswerda, Liliental, Zossen, …die Liste verlängert sich täglich (!). Und was macht der Staat? Pflegt Traditionen: one step forward – two steps back, „Willkommenskultur“ und Asylrechtsverschärfung, Toleranz und rassistische Stammtischrhetorik, offene Herzen aber unbedingt die Grenzen schließen. Mit Euphemismen kaschiert man die eigene rassistische Praxis und hat somit maßgeblichen Anteil an dem kruden Verständnis von Politik und Teilhabe vieler „besorgter Bürger“ in diesem Land.
Flyer der IG Freie Theaterarbeit, Word!
Zurück zu den Untoten und Nekromantikern: Akif Pirinçci, einst gefeierter Autor bis ihm die Eintagskatzen aus dem Internet den Rang abliefen – zu seiner letzten Veröffentlichung („Deutschland von Sinnen“) wurde er von den von ihm so verschmähten „Systemmedien“, noch als streitbarer Autor bürgerlichen Intellekts gehandelt, da hatte er den Sprung in die Neurechte mit allerlei geistigem Durchfall in deren Postillen (Sezession, eigentümlich frei, Junge Freiheit) längst vollzogen. Und dann meldete sich noch Botho Strauß, nicht auf der großen Bühne in Dresden aber als mahnender Schrei aus der Uckermark. Der „Spiegel“ gibt dem „Letzten Deutschen“ Zuflucht und ein trockenes Plätzchen um nach dem Bockmist von 1993 (Zeitschleife!) erneut den kulturellen Untergang mit ein paar wohlgeformten Tränen zu bedenken. Klar, er meint es nicht böse mit den „Millionen von Entwurzelten, die sich zu ihnen [den Deutschen] gesellen“ und mit dem Pöbel von PEGIDA hat er sicherlich auch nichts am Hut, geschweige denn Sympathie – das lässt den Pöbel bloß herzlich unberührt solange sich nur immer wieder ein paar intellektuell-befähigte (und das ist Botho Strauß, bei Akif Pirinçci darf man da guten Gewissens dran zweifeln) dazu hergeben, ihre peinlichen Anklagen über vermeintlich staatlich-verordnete (ergo repressive) Moralvorstellungen oder die Gängelung irgendeines (deutschen) Volkes dem sabbernden Mob zu zuwerfen (die freilich nur die Hälfte verstehen). (Dazu Dietmar Dath äußerst treffend in der FAZ).
Was haben sie alle gemeinsam? Sie sind die letzten ihrer Art (weniger als sie hoffen, genug um die nächste Fanmeile zu füllen). Struppige, graue Kater, die nochmal den Schwanz heben wollen, mit letzter Tinte das auspressen, was angeblich niemand sagen würde oder dürfe. Die Sarrazins, Buschkowskys, Höckes oder Strauße, Spezialdemokraten und AFD`ler, die bürgerliche Mitte, die um ihre Privilegien bangt. Sie wähnen sich als unterdrückter Volkskörper, als oppositionell, als gegen das Establishment, aber ihre Äußerungen sind systemaffirmierend, sie kommen aus der Mehrheitsgesellschaft und reproduzieren diese. Das Wettern gegen die politische oder kulturelle Elite ist dabei nur Strategie im Kampf um deren Positionen und Machtverteilung. Es geht ihnen nicht um ein menschliches Miteinander oder Gerechtigkeit.
Das herbei fantasierte, kulturelle Nahtoderlebnis und das eigene Abdriften in die Bedeutungslosigkeit pflegen eine symbiotische Gemeinschaft, die zum Motor letzter „kreativer“ Ausdünste werden. Klar, das sind ja alles Ängste und man möchte sie ihnen fast gönnen, würden sie sie doch bloß für sich behalten. Würden sie bloß sanft und leise dahinsiechen, in irgendeinem deutschen Idyll und alles was damit verbunden ist, in krampfender Umschlingung ins Grab nehmen.
Und wie sieht es auf den Theaterbühnen aus?
Auch hier wird um Repräsentanzen gerungen. Die Freien Theater haben die Nase vorn. Diversity/ Diversität ist nicht bloß ein kulturpolitisches Label, sondern wird in viele Projekten und Kollektiven praktiziert und als strukturelle Selbstverständlichkeit theatralen Schaffens etabliert. Theater kann dadurch zum Labor von Gemeinschaft, Identität und Utopie jenseits völkischer und nationaler Konstrukte werden. Die Stadt- und Staatstheater im deutschsprachigen Raum tun sich damit sichtlich schwerer (einige preschen voran, andere wirken umso armseliger). Ihre Strukturen sind bisweilen so erstarrt, dass man über das bloße Laborieren am Status Quo nicht hinauskommt. Die Debatten über Blackfacing und Besetzung firmieren eher als isolierter Programmpunkt („Panel“) denn als zielgerichtete und strukturelle Diskussion. Die namhaften Antipoden einer ernsthaften Auseinandersetzung argumentieren nach wie vor mit der künstlerischen Freiheit jeden und jede so anmalen zu können, wie es ihnen gerade so in den Kram passt – wissentlich oder unwissentlich ignorierend, dass wir als Theaterschaffende, als RegisseurInnen, Bühnen- und KostümbildnerInnen immer mit Bildern arbeiten und diese Bilder entspringen höchst selten einem genuinen, universalistisch-freien Geist, sondern knüpfen an gesellschaftliche und kulturelle Prägungen an. Blackfacing war und ist rassistische Praxis. Das sollte, bei allen schrillen Tönen entlang der Argumentationslinien, Konsens sein! Selbst wenn das gerade „nicht so gemeint ist“, lässt sich Blackfacing kaum von den historischen Vorbildern lösen. Bevor wir soweit sind, bevor es so was wie eine „Normalisierung“ der Bilder gibt, müssen wir überhaupt erst mal eine seriöse Diskussion um Kolonialismus, Rassismus (aber auch Geschlechterkonstrukte, Alter und Pathologisierung bestimmter körperlicher und geistiger Eigenschaften) in der Stadt- und Staatstheaterlandschaft (und der Mehrheitsgesellschaft) entwickeln. Die großen Theater mit ihrer beständigen Subventionierung könnten diese Diskussionen sogar langfristiger und nachhaltiger führen, als es die zeitlich und finanziell limitierten bzw. projektorientierten Gruppen der Freien Theater vermögen. Auch die (künstlerischen) Hochschulen und Ausbildungsstätten für die Theaterberufe stehen hier in der Verantwortung. Den Druck von „Unten“ gibt es längst: Gruppen wie HAJUSOM , der REFUGEE CLUB IMPULSE, Produktionshäuser wie das HAU oder Kampnagel, das Studio Я im Gorki-Theater, das Theater Thikwa (und viele andere!) arbeiten teilweise seit Jahren an einem anderen Miteinander oder der Veränderung von Repräsentanzen auf der Bühne. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Debatten müssen die Theater aktiv und kämpferisch eingreifen, mitgestalten und VordenkerInnen einer positiven Idee von gemeinsamer Zukunft werden (auch nach innen!).
Rob Kraatz