The art of talking – Ein Bericht von der Konferenz ‚Art of Scenography/Epistemes and Aesthetics‘

Vom 17. bis 18. November 2016 war die Ueberbühne (mal im kompletten Team!) in München auf der Konferenz ‚art of scenography/epistemes and aesthetics‘. Diese Konferenz war die erste uns bekannte Veranstaltung, die TheaterwissenschaftlerInnen (mit einem Schwerpunkt auf den Bühnenraum) und BühnenbildnerInnen an einen Ort und auf eine Bühne lud. Die Überbuehne war als ‚Medienpartner‘ geladen. Ein Versuch das Gesehene, Gehörte und Gedachte zu beschreiben.

Die Idee der Konferenz war, die Theorie und Praxis auf dem Feld der Raumgestaltung am Theater und den verwandten Feldern wie Ausstellungsdesign und Stadtplanung einander näher zu bringen, zum stärkeren Austausch zu bewegen. Das ist nicht nur ein hehres Ziel sondern, wie sich an einigen Punkten an diesen zwei intensiven Tagen in München herausstellte, durchaus sinnvoll, vonnöten und auch ein Weg, den man weiter verfolgen kann.

Die Konferenz wurde in langer Vorbereitungszeit mehr oder minder alleine von Birgit Wiens organisiert – ihr gilt hier höchster Respekt, da damit die inhaltliche und organisatorische Verantwortung komplett auf ihren Schultern lastete – zugleich leistet sie einen wichtigen Vorstoß zur stärkeren Repräsentation bühnenbildnerischer Arbeit wie auch Forschung und führt damit konsequent ihre bisherige Auseinandersetzung mit der Rolle des Bühnenbildes fürs Theater und der Bühnenbildner als Künstler in diesem fort.

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Das Event in München selbst oszillierte in einer aufregenden Form der Überforderung zwischen Klassentreffen, Netzwerken und theoretischem Input bis zum Overkill. Es war toll KollegInnen, angehende wie im Beruf stehende, zu treffen oder wiederzutreffen. Stefan Hageneier war mit Studierenden aus Berlin Weißensee angereist, Bernhard Kleber mit seiner Bühnenbildklasse von der Angewandten in Wien, Studierende aus Karlsruhe und Utrecht (NL) waren anwesend, und quasi als Host, die Klasse von Kathrin Brack in München. Was während der einzelnen Panels und Vorträge still nebeneinander saß, suchte in den Pausen, vor, daneben und danach das Gespräch und zu späterer Stunde in den Räumen der Brack-Klasse im selben Gebäude die Vermengung zwischen Zigaretten, Bier und Longdrinks. Allein wegen diesem Aufeinandertreffen (verschiedener Klassen aufgrund der gemeinsamen Praxis), der möglichen Freundschaften, Netzwerke und des Wissensaustausch, kann man diese Veranstaltung schon als einen Erfolg bezeichnen.

Das war sicherlich nicht die genuine Intention der Konferenz, aber eine ihrer bestmöglichen Nebeneffekte.
 Die Konferenz selber folgte ihrem Credo des weiten Felds der „epistemes and aesthetics“ und lud ganz verschiedene Akteure aus Theorie und Praxis ein, ihr jeweils gewähltes Thema auszuführen. Der Schwerpunkt lag hier ganz klar in der Vermittlung von Theorie – praktische Bezüge wurden durch „Fallbeispiele“, anhand von Stücken, KünstlerInnen und Bildmaterial hergestellt. Besonders die Kombination von Praxis und Theorie durch den gemeinsamen Vortrag des Bühnenbildners Klaus Grünberg und des Theaterwissenschaftlers David Roesner erschien uns aus einer „praktischen“ Sicht als gelungenes, weil sehr verständliches Format. Man muss dazu sagen, dass im Publikum mindestens so viele Bühnenbild- oder Szenografiepraktizierende saßen, wie theorieversierte Menschen. Die Vermittlung von theoretischen bzw. theaterwissenschaftlichen Komplexen und Begrifflichkeiten machte aber den Großteil des Programms aus. Die daraus entstehenden Konflikte in Verständnis und Interesse waren abzusehen, sollte man aber im bestmöglichen Sinne als positive Reibungsfläche, als weiteres Ringen und Streben um eine gemeinsame Sprache verstehen! Dazu später noch ein paar Anmerkungen.

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Ganz zu Beginn wurde sich anhand des großen Interesses in Form vieler Anmeldungen und internationaler ReferentInnen gefreut und geschlussfolgert, dass es ein neues, gesteigertes Interesse an inhaltlicher Auseinandersetzung mit Szenografie als Formsprache gibt und die theoretische Auseinandersetzung innerhalb der Theaterwissenschaft, auch mit dieser Konferenz, wieder ein größeres Gewicht bekommt. Grundsätzlich wurde auf der Konferenz Szenografie als Begriff gewählt, der weiter gefasst gedeutet werden möchte als Bühnenbild und für einige ReferentInnen neben „set design“ auch „spacial design“ (die Konferenzsprache war englisch!), Licht und Kostüme und andere künstlerische Betätigungsfelder wie Film, Installationskunst, Museum, den urbanen Raum und Werbung beinhaltet. Szenografie – also als Architektur auf Zeit, die aufgrund der eigenen Kurzlebigkeit sowohl im Entstehungsprozess als auch in der Benutzung mit einer sehr hohen Produktivität und großen Vielfalt der Formensprache daherkommt – gerade aufgrund des Austauschs zwischen den Bühnendisziplinen Bühnenbild, Licht, Kostüm mit den darin agierenden Körpern der PerformerInnen und dem verstärkten Einsatz von Intermedialität auf der Bühne in den letzten 20 Jahren. In diesem Kontext wird Szenografie immer als „co-actor“, als zusätzlicher Spieler gesehen, der Atmosphäre liefert, Raum determiniert und somit als (unberechenbare) Variable fungiert. Wie Raum gestaltet und wahrgenommen wird in einer heutigen („contemporary“) Theatersprache und was diese Raumkunst ist und kann und wie sie erforscht werden kann, sind die grundlegenden Fragestellungen dieser Konferenz. Als Beispiel einer künstlerischen Position („artistic statement“), die radikal mit den bisherigen Sehgewohnheiten bricht, nennt Birgit Wiens in ihrer Eröffnungsrede den noch von Bert Neumann gestalteten Volksbühnenraum für die letzten beiden Spielzeiten der Castorf-Intendanz dort, einem rein Schwarzen aber von der Materialität des schwarzen (Glitzervorhang und Asphalt) lebenden Gesamtraum, in dem die klassische Trennung Bühne-Zuschauerraum aufgehoben wurde und der in diesem kalten Glitzerschwarz an das Ende erinnert – das der Castorf-Intendanz und traurigerweise schließlich auch an den Tod des Bühnenbildners und Künstlers Bert Neumann selbst.

In Zusammenhang mit der Bedeutung von Material für Szenografie, gerade als temporäres räumliches Event, wie man es bei Bühnen von Katrin Brack erlebt, beschreibt auch Joslin McKinney, Professorin für Szenographie in Leeds (UK) in ihrem Talk Material als „non-human actor“ mit denen die Schauspieler auf der Bühne kämpfen und arbeiten müssen und beschreibt auch den atmosphärischen und ästhetischen Effekt, den verschiedene Materialien mitbringen und so auch auf die Zuschauer wirken (Emphase), indem sie den Raum mit Spannung (tension), Bewegung (movement) und Interpretation (suggestions) anfüllen. Und tatsächlich geht es auch ihr um den anthropozentrischen Maßstab zwischen Mensch und Form, Maßstab und Textur und der dem Material innewohnenden Poesie, die Gefühle und Emotionen evozieren kann, wenn SchauspielerInnen Bühnenraume bewohnen.

Und so begeistert uns Klaus Grünberg mit seiner Methode, die er jam session nennt: aus von ihm zusammengestellten „Zutaten“ entstehen (emerge) nicht vorhersehbare Szenen und Lösungen, die man nicht hätte „designen“ können und denen so eine eigene, starke Poesie innewohnt. In seinem ersten Beispiel ‚De Materie‘ (R: Louis Andriessen) fungieren als Zutaten ein leuchtender Zeppelin und eine Herde Schafe, aber auch für die von Heiner Goebbels inszenierte Oper „Europeras 1+2“, bei dem durch den Raum fahrende, teils vorprogrammierte, teils „unbeeinflusste“ Bewegungen der Objekte (wie das Pendel) vollziehen, zeigen einen großen Spaß an Unzusammenhängendem, dem Zauber von Einfachheit und der Schönheit des Fragmentierten. Es ist eine Choreographie des Zufalls, bei dem das Bühnenbild gleichermaßen den ästhetischen Rahmen setzt und zum Ideengeber für die innere Dynamik wird.

tagung-13 Men who talk about goats: Klaus Grünberg und David Roesner im gemeinsamen Vortrag

Die Faszination liegt sicherlich darin, ein technisch durchaus sehr komplexes System zu kreieren, das dann wiederum den Raum kreiert: Let art generate itself. Meet the work not the artist.“Im dritten Beispiel beschreibt er eine Bühnenanordnung aus schwarzen Bassins, Salz, Wasser und Trockeneis, als würden wir in einer Chemiestunde sitzen oder einem Physikexperiment beiwohnen. Es geht um automatische Pianos, programmierte Vorgänge, Elemente, die im Rhythmus der Musik miteinander reagieren und so das Bühnenbild aus sich heraus entwickelt – wie Wellen, die im Wasser entstehen und auf die Projektionsfolien rundherum reflektieren: Rhythm is time so time is element of scenography.“. „Stifters Dinge“ heißt diese gemeinsame Arbeit mit Heiner Goebbels, bei dem sich Musikalität, Bühne (als Maschine) und der Zufall derart bedingen und verweben, dass sich die genuine Autorenschaft des Werks (wer hat was gemacht) kaum noch herauslesen lässt.

Mit Thomas Irmer und Wolf Dieter Ernst folgen theaterwissenschafltiche Vorträge, in denen auch Szenografie als Performance gesehen wird – insbesondere mit Hinblick auf Bruno Latours‘ actor network theory (ANT), mit der sich zeigen lässt, wie auf einer Bühne alles mit allem vernetzt ist und in sofern jede räumliche Setzung automatisch zur Mitspielerin wird und alles, was uns umgibt, zu design wird.

Weitere Referenten, waren u.a. Ulf Otto – er referierte von der durch technische Errungenschaften herbeigeführten Wandlung von der statischen zur Raumbühne, welche sich zur gleichen Zeit vollzog, in der auch der städtische Raum radikal neu gestaltet wurde. Bei Laura Groendahl ging es um die Entwicklung, wie Szenografie unterrichtet wird im Spektrum von On stage is only what is needed bis Everything can become scenography in the right framing. Thea Brejzek erläuterte die Bedeutung des Modells und Dieter Mersch ging es um den Widerspruch zwischen der Instabilität und Ungouvernabilität und der tatsächlichen Stabilität der Bühne als Basis für Spiel. Susanne Hauser erläuterte den starken temporären Aspekt von Bühnenbild und erforscht, wie sich das auf den Designprozess ausübt.

Als „Praktiker“ und Bühnenbildner kam Alexandar Denic auf das Podium, der im Gespräch mit Birgit Wiens auf humorvolle und sympathische Art viel von sich und seiner Arbeitsweise erzählte (mehr von ihm gibt es auch im Interview mit Marina Felix auf der Ueberbühne).

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Zwei weitere „Praktiker“ (aber nicht Bühnenbildner) auf dem Podium waren der Szenograf und Architekt Uwe Brückner (Atelier Brückner), der dem Publikum den Handlungs- und Gestaltungsspielraum seiner Arbeit zeigte und auch mit den passenden Rezepten nicht geizte; sowie Benjamin Forster Baldenius (Raumlabor Berlin), der als einziger der Podiumsgäste in seinem talk auf den Raum der eigentlichen Veranstaltung (einer Replika eines christlichen Repräsentationsraumes) einging und anhand dieses Beispiels der Dopplung und Reflektion des szenografischen Gedankens durch die Bewusstmachung der Umgebung, schließlich zur eigenen Arbeit mit Raumlabor Berlin kam.

Am Ende gab es noch ein gemeinsames Podiumsgespräch zum Thema Studium und Vermittlung von Szenografie unter anderem mit Uwe Brückner und Laura Groendahl. Moderiert wurde dieses Gespräch durch Serge von Arx, der zusätzlich noch einen Student oder eine Studentin auf das Podium laden wollte. Da sich niemand meldete, bat er die junge Bühnenbildnerin Noemi Baumblatt auf die Bühne, die in Wien Bühnenbild und Theaterwissenschaften studiert (und abgeschlossen) hat und so problemlos an die theaterwissenschaftlichen Diskurse der ReferentInnen anknüpfen konnte. So war es auch das erste Mal, dass – abgesehen von den sehr kurzen Fragemöglichkeiten nach den einzelnen Vorträgen – das Publikum aktiv in die Diskussion einbezogen wurde. Noemi Baumblatt äußerte dabei, neben ganz persönlicher Kritik am Studium und strukturellen Defiziten wie auch Verbesserungswünschen, eine vorsichtige Kritik am Format der Veranstaltung und der eingeschränkten Diskussionsfreude mancher ReferentInnen. Eine Kritik, die so durchaus auch in Teilen des Publikums schon geäußert wurde und sich auch mit unseren Gedanken decken.

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Auf dem Podium waren insgesamt 14 ReferentInnen, davon zwei Bühnenbildner und zwei andere Praktiker aus dem Feld der Szenografie. Der Versuch, Praxis und Theorie wenn nicht zusammen so doch zum gemeinsamen Gespräch zu bringen, scheiterte bisweilen an der Unterschiedlichkeit der Sprache oder dem von beiden Seiten am jeweils anderen diagnostizierten Desinteresses füreinander.

Man kann sich die Frage stellen, an welcher Stelle die wissenschaftliche Betrachtung von Theater/Bühnenbild/Szenografie einen Mehrwert auf ebenjene praktische Disziplin(en) ausübt. Profitiert das Subjekt KünstlerIn bzw. das Objekt Bühnenbild von seiner Durchleuchtung und Filetierung? Die Antwort müsste markant optimistisch lauten: Es kann! Es kann funktionieren, TheaterwissenschaftlerInnen und BühnenbildnerInnen auf einem Kongress zu versammeln und ihnen mehr als nur die ureigene Fachexpertise zu entlocken, sie zum Austausch und Inspiration anzuregen. Dieses organisatorische wie inhaltliche Wagnis ist Birgit Wiens mit dieser Veranstaltung ein großes Stück weit gelungen.

Für uns als BühnenbildnerInnen waren trotzdem die Künstlertalks zugänglicher, witziger oder inspirierender. Wir würden uns sehr wünschen, dass weiter versucht wird, das Feld der Praxis und der Forschung zusammenzubringen. Zum Beispiel mit einer Konferenz in Form eines Festivals, zu dem Stücke mit richtungsweisenden oder in ihrer Raumlösung und Spielangebot herausstechenden Bühnendesigns eingeladen werden und im Zusammenhang mit SpielerInnen, KünstlerInnen und TheoretikerInnen in gemischten Arbeitsgruppen die Theorie anhand der Praxis besprochen wird. Vielleicht würde man so konkreter auf aktuelle Arbeitsformen und Einflüsse eingehen und die verschiedenen mitgebrachten Sprachen direkter miteinander vergleichen können.

Wir wissen, dass das ein sehr hoch gegriffener Wunsch ist und dieser Wunsch stellt nicht in Absprache, dass hier schon wahnsinnig viel passiert ist, es an diesen Tagen schon immersiv, inspirierend und kommunikativ zuging und es sehr viel zu lernen für beide Seiten gab.

Danke an dieser Stelle nochmal an Birgit Wiens sowie allen HelferInnen, ReferentInnen und Teilnehmenden!

Von Thea Hof und Rob Kraatz