„I am a strange loop“

„Drei Schwestern“ von Susanne Kennedy in den Münchener Kammerspielen

Ein dichter Wolkenteppich wabert unaufhörlich wie ein postapokalyptischer Bildschirmschoner auf der Bühne und verrät dem Publikum schon während des Einlass etwas von dem wachkomatösen Grundrauschen, das den Puls der Inszenierung bestimmen wird. Die starke Visualität zieht von Anfang an in den Bann. Szenenwechsel werden durch harte cuts bzw. kurze blacks eingeläutet. Mit Beginn des eigentlichen Stücks öffnet sich ein kastenartiger, nach hinten leicht verjüngter weißer Raum. Die minimalistische Einrichtung (mal Tisch und Stühle, mal ein Wandtelefon, mal leer) und die zumeist starre Anordnung der Figuren erscheinen als geradezu mystische tableau vivants, die aus dem Schwarz, dem „black“ der Szenenwechsel herausspringen und sogleich wieder in ihm verschwinden. Es fühlt sich ein wenig nach der rhythmischen Künstlichkeit einer TV-Dauerwerbesendung an – halb wach, halb schlafend, während das chronische Zucken irgendeines Fingers, den Apparat aus- und wieder anschaltet.

(c)Judith Buss

Dass das großen theatralischen Wert haben kann, liegt an der konsequenten Ästhetik Susanne Kennedys (Regie) und ihr Gespür dafür, Sprache, Raum und Zeit so zu dehnen, bis zwischen all den nüchternen Abfolgen und Wiederholungen das Menschelnde wieder durchblitzen kann. Wer lieber textgetreu mit Tschechows‘ Drei Schwestern nach Moskau giert, statt sich diesem fiebrigen Traum hinzugeben, der wird vielleicht enttäuscht, mindestens aber irritiert sein. Es ist wichtig, sich zurückzulehnen und ein wenig auf Epik oder Drama verzichten zu können. Dafür schmiedete das künstlerische Team aus Regie, Bühne (Lena Newton), Videokunst (Rodrik Biersteker) sowie Kostüm (Teresa Vergho), ein Amalgam aus sprachlichen und visuellen Versatzstücken aus dem (trash)TV der 90er (Dauerwerbesendung, Seifenopern) und Computeravataren wie in SimCity oder SecondLife. Es ensteht ein kalter Spiritualismus, der die Sehnsüchte nach „Leben“ – nach „Moskau“ – zu einem quasi-religiösen, auf Wiederholung verdammten Ritual werden lässt in dem sich der Widerspruch zwischen Immanenz und Transparenz auflöst.

(c)Judith Buss

Das Bühnenbild wurde vom Theatermagazin Theater Heute als bestes Bühnenbild der Spielzeit 18/19 ausgezeichnet und dieser Preis würdigt nicht nur die Arbeit der Bühnenbildnerin Lena Newton, sondern auch die – kaum vom Bühnenbild trennbare Videokunst von Rodrik Biersteker.

Das Video arbeitet mit Auf- und Rückprojektionen, mal mit klaren Flächen oder Strukturen, die sich über bzw. auf das Bühnenblid legen – mal wird der physische Raum durch digitale Raumillusionen erweitert oder ergänzt. Zudem wird viel von dem, was üblicherweise durch Lichttechnik umgesetzt wird, hier vom Videobild ausgeleuchtet oder gefärbt. Die Grafiken sind zum überwiegenden Teil an die Computer(spiel)ästhetik der späten 90er und 2000er Jahre angelehnt. Der klare Bühnenraum sowie die „norm-core“ Kostümierung und die einheitlichen Masken der Schauspieler wirken dem nicht entgegen, sondern tun das ihrige zur hyper-künstlichen Welt von Susanne Kennedy.

(c)Judith Buss

Das Stück ist trotz oder gerade wegen seiner besonderen Ästhetik absolut sehenswert!

„I am a strange loop“ läuft an einer Stelle des Stücks um den Bühnenkasten – Referenz auf Stück wie auch den Theaterbesuch an sich. Seltsam nun die jetzigen Zeiten, in denen das reguläre Theaterleben beinahe überall zum Stillstand gekommen ist. Wenn die Kammerspiele in der neuen Intendanz von Barbara Mundel hoffentlich das Stück wieder in ihr Repetoire aufnehmen, dann wird das Zeitgefühl vielleicht ein anderes sein. Kennedy’s repetetiver auf Gesten und Sprachhülsen basierender Rhythmus wird vielleicht zum Abgesang auf die vor-pandemische Zeit, vielleicht auch nur auf den Wunsch nun möge eine bessere enstehen.

(c)Judith Buss