Stadt als Kulisse No. 2: Das Mahnmal

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Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte, die hier außen vor bleiben mag. Angesichts der Massivität der Anlage und ihres vergleichbar massiven Publikumserfolgs ist die interessantere Frage die, was es ist. Die ehemaligen Ministergärten, auf deren Terrain die Anlage zu liegen kam, sind ja nicht gerade der ausgewiesene Täterort. Sie waren nach der Wende unbespieltes Gelände in Bundesbesitz, und das Mahnmal musste nun einmal irgendwo untergebracht werden, wo noch nichts war und keine Altansprüche entgegenstanden. Schon dies zeigt, dass es nicht aus der linken westberliner Gedenkstättenkultur heraus entstanden ist – diese war stets an der Authentizität von Orten orientiert.

Aber auch an Minimalismus. Der Schrecken Berlins vor der Wende war ja die Leere. Diese Brachflächen beidseits der Mauer redeten vom Untergang, von Bodenlosigkeit und Verschwinden. Gedächtnisarchäologie hatte sich in die darunter verborgenen Schichten einzugraben. Die ständige Berührung mit der schweigsamen Negativität des Gewesenen verband sich unweigerlich mit der deutschen Schuld. Ein Mahnmal, das mit dieser Schuld zu tun hat und sich hinstellt wie ein Bismarck- oder Völkerschlachtdenkmal, als positive Masse, das war undenkbar, und als die Idee aufkam, fand sie im maßgeblichen intellektuellen Milieu keine Unterstützung – die kam von außen und von oben.

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Nun ist es da, ein Produkt von Wende und Regierungsumzug, und damit des Zugriffs einer ganz anderen Ebene, die man vorher nicht im Blick hatte. Offiziell ist das Mahnmal eines für die Ermordung der Juden Europas – der Terminus Holocaust kommt da nicht vor. Ohne die Holocaust-Museen erst in den USA, dann auch in europäischen Hauptstädten hätte es dieses Mahnmal nicht gegeben; so, wie es ist, ist es ein Globalisierungsprodukt, ein Signal, mit dem sich die Bundesrepublik als solche im Namen der Nation vor einer USA-zentrierten Weltöffentlichkeit politisch legitimiert, und nicht etwa kulturell. Aus schmerzhafter, gegen das nationale Nichtwissenwollen anarbeitender Gedächtnisanstrengung ist selbstbewusste staatliche Gedenkpolitik geworden.

Das hat unweigerlich die Auswahl gerade des Eisenmann-Entwurfs bestimmt. Eisenmann hat das Terrain gefüllt. Nicht die Negativität ist inszeniert, sondern die schiere Menge. Die Menge steht nicht in Korrelation mit der Menge der Ermordeten – das wäre unmöglich -, sondern zu Potenz und Anwesenheit des Staates, der neuen Bundesrepublik. Das unterscheidet es, mehr als der hochzivilisierte gefärbte Beton der Stelen, von einem unrühmlichen Paradigma massenhaften Gedenkens, das uns, den Adepten der Minimalität, in den siebziger Jahren im Nacken saß: 798 soll Karl der Große  4000 Sachsen haben hinrichten lassen, die Zahl ist aller Wahrscheinlichkeit ein Schreibfehler, wenn überhaupt, waren es wohl bloß vier. Die angeblichen 4000 waren für die Nazis ein Grund, am Ort der angeblichen Bluttat  4000 Steine aufzustellen. Das war von plumper Wörtlichkeit. Davon kann hier, zwischen Wilhelmstraße und Brandenburger Tor, keine Rede sein. Nicht eine Zahl, sondern ein ästhetisches Konzept beherrscht dieses wogende Meer von Denksteinen.

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Damit sind wir zunächst auf einem anderen Feld, dem der ästhetischen Kritik. Im Kunstbetrieb wäre das eine Installation. Eine begehbare: man kann sie in allen denkbaren Richtungen und Annäherungsweisen körperlich durchmessen und erproben, man kann darin eintauchen wie in ein Maisfeld, sich kreuzende Gassen und Achsen entlang schauen wie in einer Planstadt des Barock. Aber sie ergreift nicht. Zu sehr stehen die ästhetischen Vorstellungen des Konstruktivisten Eisenmann im Vordergrund – Vorstellungen, die, wie auch sonst bei Eisenmann, der Realisierung nicht gewachsen sind, sondern, realisiert, ein zu hohes Maß an Banalität entlassen. Das Gedachte wird nicht Wirklichkeit.

Dagegen steht zweifellos eine andere Möglichkeit der Annäherung. Das Stelenfeld evoziert einen Typus, den des jüdischen Friedhofs. Auf die technischen, wirtschaftlichen, logistischen Züge des Mordens, also das, was den Genozid an den Juden Europas so unvergleichlich macht, findet sich keinerlei Hinweis. Eisenmann hat offenbar versucht, das nachzutragen, was im fließbandmäßigen Morden der SS ausgeschaltet war (ausschalten: ein Lieblingsausdruck der Nazis): den eigenen, wahrgenommenen Tod. Die Vernichtungsmaschinerie der Todeslager hinterließ keine menschlichen Spuren des Einzelnen, nur Rauch und wenige Rohstoffe. Es muss immer erst etwas erfunden werden, woran dann die Trauer, das Bewahren ansetzen kann.

Was tatsächlich entstanden ist, ist jedoch merkwürdig affektfrei. Gleichwohl ist das Mahnmal unglaublich erfolgreich. Offenbar wird es gebraucht. Was tun die Besucher eigentlich? Üben sie ‚Es ist vorbei’, und wir üben auf einem Ackerfeld des Todes Vergänglichkeit ein? Vielleicht. Sind sie dazu nicht zu fröhlich? Vielleicht. Vielleicht stiftet gerade dies auf die Dauer tatsächlich ein gewisses Maß an innerem Frieden.

von Dieter Hoffmann-Axthelm

(aus: Dieter Hoffmann-Axthelm, „Osten Westen Mitte“, Berlin 2011, S. 83-86)

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