Interview Nr. 11: Anton Lukas
Ueberbühne im Interview mit dem Bühnen- und Kostümbildner Anton Lukas über die Arbeit mit Milo Rau, Wirklichkeit, deren Veränderung und wie erschreckend aktuell die Arbeit manchmal sein kann.
Ueberbühne: Es geht speziell um die Arbeit,die du mit Milo Rau zusammen machst: HATE RADIO, DIE MOSKAUER PROZESSE, DIE LETZTEN TAGE DER CEAUSESCUS, um einige zu nennen. Meine Frage ist: wie eng sind deine Bühnenentwürfe auch mit der Arbeitsweise von Milo Rau verbunden, d.h. der Recherche, der journalistischen Akribie, dem Prinzip des Reenactment und ob es für dich auch abseits davon eine Art – ich sage mal vorsichtig – autonomen Schaffensprozess gibt?
Anton Lukas: Also die Arbeitsweise mit Milo, wie mit anderen Menschen auch, ist sich zu kennen – viele Sachen muss man dann nicht mehr bequatschen. Ich hol mal ein bisschen aus: das erste Stück mit Milo, „Die letzten Tage der Ceausescus“, da war noch so ein wenig Reibung, man musste erst mal schauen, ob das passt – und bei „Hate Radio“ hat es dann schon aus dem Bauch heraus funktioniert. Es gab Zwischenabsprachen, klar, aber ich glaube, wir haben so ein gegenseitiges Grundvertrauen und er lässt mich eigentlich ziemlich walten. Es gibt immer wieder absprachen, es ist nicht so, dass ich mich für ein halbes Jahr in die Kammer verziehe und dann werfen wir unsere Ideen zusammen. Ich denke der Prozess läuft ähnlich auch mit Choreographen, in der Musikregie – der Anfang ist wichtig, man muss das Gefühl eines gemeinsamen Einstiegs finden. Wenn man den hat, und den kann man nicht planen, dann kann man erst mal gut aufeinander gehen und auch wieder jeder für sich und dann bringt man die Sache zusammen. Bei den Letzten Tagen der Ceausescus war noch Silvie Naunheim beteiligt. Wir haben uns dann ein bisschen aufgeteilt, sie hat mehr die Kostüme gemacht, ich mehr die Bühne, aber das war eher so eine Kollektivarbeit – das fand ich auch sehr interessant und das würde ich gerne wieder tun. Als Bühnenbildner oder auch als bildender Künstler ist man oft sehr autonom oder tatsächlich alleine gelassen. Bei der Regie hat man eigentlich immer noch jemand zum austauschen, Regieassistenz, Dramaturgie. Als Bühnenbildner arbeiten wir wahnsinnig viel für uns (ist auch ok), aber es gibt zu wenig Austausch mit unseresgleichen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, für die Zukunft, dann würde ich ganz gerne nicht nur einen Assistenten vom Theater haben, der ja eher Bindeglied zwischen den Werkstätten und mir ist, sondern wirklich so einen „Gedankenaustauscher“ an meiner Seite.
Hate Radio, HAU2, Foto: Daniel Seiffert
UE: Nochmal zu der Arbeit mit Milo. Es ist ja nicht so, dass du dich im klassischen Sinne mit einem Reclam-Heftchen zurückziehst, eine Runde überlegst und ihm dann Vorschläge machst. Er wird dir wohl auch nicht sagen: schau mal auf Wikipedia nach, was in Ruanda passiert ist – sondern es geht ja auch um diese journalistische Aufarbeitung. Dageht es sehr darum, was sich die Regie und das Team als Vision setzen, oder?
AL: Ja, das stimmt. An Hate Radio kann ich das ziemlich gut festmachen, weil das nach wie vor unser Baby ist. Es hat uns wahnsinnig zusammengeschweißt, weil wir festgestellt haben, dass wir schon in eine Richtung ticken. Und mit Ruanda war es so, Milo hatte, nach einer ersten Reise dorthin, alle möglichen Interviewpartner getroffen, u.a. die Moderatorin des Radiosenders Valérie Bermeriki1 im Gefängnis und diverse Experten. Da fällt es mir dann schwer das Gefühl zu haben, ich werde bei der ganzen Recherche gebraucht, aber dann gab es eine zweite Recherchereise zu dritt, um nochmal die ganzen Orte zu sehen, die Leute nochmal zu treffen, allein um mitzubekommen wie so ein Land tickt. Dann haben Milo und Jens [Dietrich], der Dramaturg, kurz vorher abgesagt und ich bin schließlich allein geflogen, was komplett richtig war und so habe ich dort auch meine eigene Recherche gemacht.
Ich habe mich lange, besonders bei den Ceausescus, damit auseinandergesetzt: was ist Dokumentartheater, was ist Reenactment, gerade was auch meine Arbeit angeht. Ist es, dass ich bei Kostümen auch bis zur Unterwäsche gehe oder was ist noch Original oder was ist wirklich „wahr“. Ich war natürlich schon der Meinung, dass Gegenstände, Kostüme und Requisiten etwas mit Schauspielern machen und ich hab dann in Ruanda alle möglichen Sachen besorgt, die Original waren, Colaflaschen, Stoffe, Zigaretten, Stifte. Dazu kamen die eigenen Geschichten, die sie mit reingebracht haben [die Schauspieler kamen überwiegend aus Ruanda, Anm. UE]. Milo hat kein starres Konzept, er lässt die Schauspieler nicht nur agieren, sondern lässt viel von ihnen rein. Ich bin genauso vorgegangen, ich wollte diesen Raum erst mal füllen und eine Vielzahl an Spielmöglichkeiten geben – wenn es funktioniert, ist es gut, wenn nicht, lässt man es rausfallen. Deshalb hat der richtige Arbeitsprozess auch erst mit den Proben angefangen. Da stand dann der Grundraum, meine „Kiste“ und dann haben wir angefangen diesen zu füllen. Ähnlich bei den Kostümen, wo ich erst mal sehen musste, wie die Schauspieler sind, wie sie sich bewegen und danach die Kostüme entwickelt bzw. verändert habe . Ich wollte sie weder einfach „verkleiden“ noch ihren Rollenvorbildern entsprechend 1:1 kopieren.
Hate Radio, HAU2, Foto: Daniel Seiffert
UE: Ihr verhandelt Aspekte und Begrifflichkeiten wie Realität, Wahrheit, Wirklichkeit – das sind ja Sachen, die bewusst mit reingenommen, reproduziert aber mitunter auch erst produziert werden. Ihr handelt aber nicht nach einem copy&paste-muster, z.B. einen Raum von einem Foto in einen Theaterraum umzusetzen, sondern orientiert euch an den Vorbildern, übersetzt diese in eine neue Realität auf der Bühne. Eine Theaterarbeit im Sinne des Realismus?
AL: Also bei den Ceausescus war das schon nochmal ein minutiöses Nacherzählen oder Nachspielen dieser letzten Stunden. Der Raum wurde ein wenig theatraler, ansonsten haben wir uns wahnsinnig stark an die Vorbilder gehalten, an Bilder, die sich schon so in das kollektive Gedächtnis gebrannt haben. Bei Hate Radio sind wir inzwischen an dem Punkt, wo es sich lohnt den Raum zu überdenken. Auf Tour, in Bogota, Kolumbien konnten wir das Bühnenbild nicht mitnehmen und waren gezwungen vor Ort nach einem Raum zu suchen – eine Ladenpassage, aber das hat dem Spiel wieder was frisches gegeben. Anfangs hat die Bühne den Schauspielern viel Sicherheit gegeben, das war mir auch wichtig, das war etwas Verlässliches, aber es besteht die Gefahr, dass es sich dann etwas tot spielt. In neuen Räumen sind die Wege anders, die Dimensionen, die Akustik – das macht es wieder spannend. Worauf ich Wert lege ist, dass die Kostüme und Requisiten mitkommen, die Zigarettenschachteln, die Flaschen, aber ich brauche nicht „diesen“ Tisch da hinbringen, den hab ich auch nicht aus Ruanda mitgebracht.
Die letzten Tage der Ceausescus, IIPM
UE: Ihr habt in Belgien jetzt „Civil Wars“ gemacht, in dem es um junge Europäer geht, die sich den jihadistischen Kämpfen in Syrien anschließen…
AL: Wir wollten, ich sag mal, größenwahnsinnig, den Verfall von Europa erklären. „Bürgerkrieg“, allein der Titel ist ja schon größenwahnsinnig und wie will man in ein bis zwei Stunden ein Stück der Weltgeschichte erzählen. Diese Originalkonzept – den Verfall zu erklären, zu fragen, was Jugendliche dazu bringt wegzugehen, sich aggressiv in Konflikten zu engagieren, die nicht ihre sind – das haben wir verlassen. Es gab diese Klammer, aber den Großteil des Abends machten dann persönliche Geschichten der Schauspieler und Darsteller aus. Und ich fand das erst mal schwierig, dass unser Konzept, auch was das Bühnenbild betraf, nicht mehr aufging.
UE: Du musstest die Bühne ändern?
AL: Nicht komplett. Es war rein zeitlich eigentlich kaum mehr möglich. Requisiten zu verändern ist kein Problem, aber bei Bauten, die eine längere Vorlaufzeit in der Werkstatt brauchen, da wurde es schwierig. Ich mag es ja ganz gerne erst mal so ein Eldorado zu haben an verschiedenen Entwürfen, die abzuklopfen, etwas neues zu beschreiten und dann eventuell wieder auf diesen ersten Entwurf zurückzukommen und zu merken, das passt. So war das ursprünglich hier, aber nicht mehr im Modell, wo man noch etwas hätte schnell verändern können, sondern leider im Original. Das zu verändern war anstrengend. Wir haben dann mehrere gute Läden in Brüssel gefunden, in denen ich passende Sachen gekriegt habe und dann hat es funktioniert – aber es ist eine Erfahrung, die brauch ich nicht unbedingt nochmal.
The Civil Wars, IIPM, Foto: Marc Stephan
UE: Wenn man diese Spontanität mit reinbringt, sagt, wir gehen jetzt damit um, wir machen das so und dementsprechend sieht dann die Bühne aus, dann ist das auch ein Statement. Und dann muss man sich überlegen, ob dieses Statement sich auch in der eigentlichen Arbeit, dem Stück und der Ästhetik widerspiegeln. Der Regisseur Robert Borgmann hat das in seinem „Onkel Wanja“ gemacht (Interview hier), da hat er ein Teil des Bühnenbildes während der Proben mit einer Kettensäge sukzessiv verkleinert. Das sah man dann auch. Das ist aber eine Gewalt, eine Rohheit und Reduzierung, die sich auch im Stück wiederfindet.
Euer Stück wurde dann ja auf eine sehr schreckliche Weise von der Realität überholt, als kurz nach der Premiere in Brüssel beim Anschlag auf das Jüdische Museum vier Menschen von einem sogenannten „Syrienheimkehrer“ ermordet wurden2. Ihr habt ja ursprünglich in diese Richtung gearbeitet, habt ihr das im Anschluss nochmal reflektiert?
AL: Die nächste Aufführung wird in Zürich sein, vorher treffen wir uns nochmal in Köln und werden darüber diskutieren, ob und wie wir das mit einbeziehen. Das Stück ist in einem Stadium, wo wir noch daran arbeiten können und uns mit solchen aktuellen Bezügen auch wieder auseinandersetzen. Ich weiß aber noch nicht, wo es da hingeht.
Das Interview führte Rob Kraatz im Juni 2014.
1 Valérie Bermeriki hatte während des Völkermordes in Ruanda 1994 als Moderatorin des Radiosenders RTLM aktiv zu Mord und Hass auf die Tutsi aufgerufen und die Geschehnisse wesentlich mitbeeinflusst 2 Am 24. Mai 2014 erschoss der Franzose Mehdi Nemmouche, kurz nach seiner Rückkehr aus Syrien, im Jüdischen Museum in Brüssel ein israelisches Ehepaar und zwei Museumsangestellte. Er wurde wenig später in Marseille gefasst. Motiviert von jihadistischem Wahn und Antisemitismus und inspiriert von den Morden Mohamed Merahs in Toulouse 2012, reiht sich dieser Anschlag in eine traurige Reihe islamistischen und antisemitischen Terrors, die ihren jüngsten Höhepunkte in den Attacken auf Charlie Hebdo und Kunden eines Hyper Caché in Paris und den Anschlägen in Kopenhagen hatte.