Interview No. 9: Henrik Ahr

Oder „Bühnenbild ist Konzeptkunst.“

Wir freuen uns über Henrik Ahr, mit dem wir uns über Reduktion in der Oper unterhalten haben und dabei angefangen haben zu ahnen, was minimalistische Bühnenbilder mit Architektur zu tun haben.

Einleitend ein Beispiel für ein Bühnenbild von Henrik Ahr: Im Marstall des Residenztheaters läuft seit neuestem „Madame Bovary“ mit einem sehr präsenten, alle Kräfte auf die Hauptdarstellerin fokussierenden Bühnenbild von ihm. Es handelt sich um eine Architektonische Skulptur mit einem drehbaren Podest auf dem Madame Bovary „lebt“ – alle anderen Figuren müssen immer durch das Loch im Boden unter dem drehenden Podest in den kurzen Intervallen auf- und abtauchen, in denen das Loch frei ist. Das Bühnenbild ist also nicht nur nicht ganz ungefährlich und sehr bedeutungsschwanger (und zeigt eindringlich, dass sich über Auftrittsmöglichkeiten Gedanken zu machen nicht nur heißt, ob jemand von links oder rechts kommt), es lenkt auch die Bewegung der Schauspieler. Somit ist es ein gutes Beispiel für die Arbeiten von Henrik Ahr, der Architekturen baut, die sich den Figuren unterordnen und gleichzeitig ihren Bewegungsradius bestimmen.

Henrik Ahr

Ueberbühne: Du machst viel Oper. Ich fand die Idee von Reduktion und Oper sehr interessant, weil Oper noch so ein Cliché anhaftet von Dicker Frau vor Rüschentapete. Mir ist aufgefallen, dass trotz des Reduzierens gleichzeitig riesengroße Räume ausgefüllt werden müssen.

Henrik Ahr: Mann muss die Dicke Sängerin ernst nehmen, dann ist das Cliché umschifft.
Die Größe der Räume in Opern ergeben sich oft schon durch die große Anzahl von Akteuren auf der Bühne , Chor usw. Meine Reduktion ist meist auf das Dekor und das Interieur bezogen, ich versuche den Spielraum auf das Wesentliche zu reduzieren, dass erhöht den Fokus auf die Sänger und die Szene.

UE: Ich kenne fast nur noch Reduzierung, aber Reduktion heißt ja, dass irgendetwas reduziert wurde. Gibt es einen Unterschied zwischen Platz oder Raum lassen und nur eine Wand zur Begrenzung aufstellen oder eine komplette Welt im Kopf haben, von der man aber nur die Wand nimmt?

HA: Das zweite ist Abstraktion, keine Reduzierung. Ich kann das so beschreiben: Das sind so eine Art Sphärenräume. Die Frage ist, wie viel Platz braucht ein Stück.
Oft untersuche ich Opernlibretti und Theaterstücke nach diesen Kriterien, oder zeichne eine Art Familienaufstellung, um mich der Größe des Spielraums zu nähern zu können.
Es gibt versteckte Atmosphären-Beschreibungen im Text, die ich dann benutze, um eine Grundstimmung für die Bühne zu destillieren. Weitere Fragen sind dann, ist das Stück hell, dunkel, laut, leise, ist es warm oder kalt. Das sind für mich verschiedene Kategorien, einen Raum zu entwickeln.

Henrik Ahr

UE: Wie fühlt sich der Raum an. Kommt dieses Raumgefühl aus der Musik?

HA: In Verdis „Rigoletto“ gibt es einen kleinen Geigen-Ton, dann ein Umgreifen der Geigenhand, ein kurzes, nicht zur Musik gehörendes Geräusch, dass hat mich damals interessiert und dann zu meinem Bühnenbildentwurf gebracht.
Für mich war klar: Gilda verliert komplett den Boden. Also habe ich Ihr einen Raum gebaut, in dem nur Sie sein darf. Dieses Verlieren von Rückhalt und Sicherheit und den resultierten Druck auf Gilda übersetzte ich damals, indem die Rückwände des Bühnenbilds permanent diesen Raum verändern konnten. Um das zu beschreiben, nannte ich das damals „die Psychologien von Voluminas“, ein Wort dass es gar nicht gibt, aber doch die Bühne beschreiben konnte.
Ähnlich war das auch bei „Fidelio“, Beethovens utopischem Plan einer besseren Menschheit. Das Ganze spielt ja normalerweise in einem Gefängnis und dem Regisseur Andreas Homoki und mir war klar, das Stück darf auf keinen Fall im Gefängnis spielen.
Geworden ist es dann eine graue Raum-Kiste, bei dem sich die Rückwand wegklappen lässt. Meine Idee war, dass sich der Raum nur über Schrift erklärt, Brechtmäßig. Beethoven hat das Stück als ein Manifest der Freiheit gesehen, also war für mich Schrift das einzig richtige raumbeschreibende Mittel.
Wir haben also die Regieanweisungen auf die Kiste projiziert, die Räume, die Stimmungen, Szenenbeschreibungen. Für einen Opernkenner ist das aber der totale Affront, da einfach drauf zu schreiben: „Eine Lampe brennt“, „Hof des Gefängnisses“ oder „Florestan, ein Gefangener“. Alle erzählerischen Momente der Oper wurden so rausgeschmissen und ersetzt. Dadurch ist ein ganz anderes Setting entstanden, viel dichter, die Geschichte war sehr viel klarer. Das Wort macht ja ganz andere Räume auf.

Henrik Ahr

UE: Gleichzeitig wirkt so eine Bühne von dir gerne mal wie eine Art Megaphon, wie ein riesiger hölzerner Resonanzkörper, der die Musik nach außen katapultiert.

HA: Die Akustik ist eine der größeren Herausforderungen, um Distanzen der Figuren auf der Bühne herzustellen, da kann man mit der Bühnen-Architektur oder deren Material helfen.

UE: Ich hab in einer Kritik gelesen, durch das Zurückgenommene der Bühne hätte die Regie so viel Freiheit gehabt…

HA: Sie hat den immer zuerst den Fokus. Und dann passiert meist was Überraschendes mit dem Raum, oft unmerklich. Symbolik liegt mir nicht! Ich baue erst mal leere Spielplätze, die dann die Regie übernimmt.

UE: Nächstes Cliché: bei Oper kann man so wenig machen.

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HA: Man kann bei  der Oper total viel machen und ausprobieren!
Ein Beispiel: Die Bühne für Wagner’s „Parsifal“ in Antwerpen ist ein 18 Meter hoher, weißer Zylinder mit einer Wandlänge von 34 Meter, ein Halbkreis. Kein einfaches Setting für diese Mammut-Oper, die eigentlich drei verschiedene Bühnenräume vorschreibt.
Ich hatte beim ersten Hören immer die Vision von Warteraum und Sterbezimmer in einem, also ein statischer Bühnenraum, der sich in den 3,5 Std. nicht verändert. Nach einer Weile fließt aber unaufhörlich Blut die Wände hinab, für mich ein starkes Zeichen der Vergänglichkeit. Jeder Akt fängt gleich an: das Bild ist eine weiße, saubere Wand, und dann kommt das Blut – ein Ritual. Das Grals-Wunder also über die ganze Bühnenbreite vergrößert, das ist Oper.
Oft gehe ich von konkreten Bildwelten aus, z.B. aus der Malerei. Die Bühnenbild-Idee zu Parsifal kam von Cranach’s „Jungbrunnen“. Die Leute gehen da alt rein und kommen jung im besten Alter wieder raus. Ein Sehnsuchts-Raum vom Austricksen der Sterblichkeit; wie im Parsifal findet sich hier das Thema „der Raum wird zur Zeit“.

UE: Du nimmst den Menschen als Maßstab für deine Räume. Ist das eine architektonische Herangehensweise?

HA: Der Architekt kommt bei mir immer wieder durch, der Mensch als Maßstab aller Dinge – Architekten-Binsenweisheit. Es geht halt bei diesen Räumen nicht um eine geschmäcklerische Überhöhung, sondern darum, zu zeigen, dass man die Oper ernst nimmt, dass man den Inhalt nicht verrät, sondern den Sänger in den Mittelpunkt rückt.

UE: Suchst du das, dass der Sänger allein gelassen wird, unglaublich präsent, in einem Raum, der ihn präsentiert und den Gesang unterstützt?

HA: Ja, ich verneine zum Beispiel sogar die meisten Requisiten. In meinen Räumen ist die Leere für Sänger oft schwierig – und dann schaue ich zusammen mit der Regie, wie kann man helfen, kann noch etwas hinzufügen? Wie kann die Figur geschärft werden, wenn man die Figur zusammen mit Kostüm und Raum versteht.

UE: Wie beeinflusst du mit deiner Arbeit die Inszenierung?

HA: Das macht das Bühnenbild ja meistens sowieso.

UE: Aber du denkst es dir ja aus.

HA: Zum Beispiel Auftrittsfragen. Kann man überhaupt aus der Kiste abtreten. Was bedeutet das dann. Was bedeutet es, wenn eine Figur die ganze Zeit da ist, weil sie nicht raus kann. Wir bespielen einen Minimundus, diese Fragen ergeben sich, bedeuten etwas. Und die Regisseure, mit denen ich arbeite, wollen diese Herausforderungen auch.

Henrik Ahr

UE: Fällt es in der Arbeit mit Opernsängern einfacher oder schwerer zu sagen „es gibt einfach keine Auftritte“?

HA: Einfacher nicht. Anders. Da kommt es eher auf die Regisseure an, dass sie den Sängern die Sicherheit geben und sagen „das geht“.

UE: Noch eine Frage: dieses sehr früh fertig sein müssen mit dem Entwurf an der Oper, lange bevor die Proben beginnen, macht das nicht unflexibel?

HA: Eigentlich Nein. Manchmal denk’ ich mir schon, “Sehe ich das Stück in zwei Jahren genauso wie Heute?”. Aber wenn es dann in die Proben geht, ist es, als würde man einen alten Bekannten wiedertreffen. Das ist wie eine gute Suppe. Man darf sie nicht überwürzen, damit man ab und zu noch was reinwerfen kann. Mich interessieren diese leeren Räume auch, weil man sie noch ein bisschen anfüllen kann.

Das Interview führte Thea Hof
Fotos: Henrik Ahr