Interview No. 8: Herbert Fritsch

Mit Herbert Fritsch haben wir anlässlich seiner zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierung Ohne Titel No. 1 die Ehre über Bretter zu sprechen. Naja, und über Roadrunner. Und über, na klar, Scheitern, und Fehler. Wir machen das mal einfach.

ansicht_353THEA HOF: Die Bretterfrage: ich habe bei der (S)Panischen Fliege zum ersten mal in einer deiner Inszenierungen das Brett gesehen und seitdem eigentlich in jeder. Bei der Oper Ohne Titel No.1 geht die ganze Inszenierung vom Brett aus, sowohl musikalisch, als auch ästhetisch und von der Körperlichkeit her. In Hamburg hab ich die Schule der Frauen gesehen, und da ist bühnenbildnerisch das Brett das Grundthema. Lotest du die theatralen Möglichkeiten des Brettes aus?

HERBERT FRITSCH: Erst mal sind das ja die Bretter, die die Welt bedeuten, dann das Brett vorm Kopf, das die Welt bedeutet. Bei der (S)Panischen Fliege ist es eher eine Latte, das ist natürlich auch ein Brett, hat aber einen Grund warum’s ’ne Latte ist.
In erster Linie kam das so, dass ich mit meinem 3D Programm rumgespielt und plötzlich gedacht habe, ich überzieh jetzt alles mit diesen Brettertexturen. Ich fand, das sieht gut aus, dann mach ich das mal so. Ich hab das auch nicht so Stückbezogen gedacht. Mit Hamburg war’s so, dass ich vorher schon so ein Bild mit dem Haus und Brettern ausprobiert habe, und dann kam Schule der Frauen, und ich dachte, das passt doch. So ist es öfter bei meinen Bühnenbildern, dass ich die schon entwickle bevor ich überhaupt das Stück dazu habe, und dann passt meistens das nächste Stück was mir angeboten wird oder was ich machen soll genau dazu. Oder zumindest mache ich es passend.

Thea: Wie entwickelst du die dann? Sind das eher so Visionen, was man mit einem Raum mal machen könnte?

Herbert: Erst mal gibt’s natürlich eine Idee, eine Vision, was das sein könnte, und dann muss man halt gucken, wie die Umsetzung ist, welche Materialien man verwendet. Ich mag ja gerne diese hochaufgelösten Fotografien, die dann in Photoshop zusammengebaut werden, so dass es kein wiederkehrendes Muster ergibt, die man dann druckt. Es sieht einfach aus, aber es steckt doch relativ viel Arbeit von vielen Leuten darin, damit das am Ende so aussieht wie ich das gerne möchte. Ich hab mir bei dem Brett nichts gedacht. Ich denke mir nie was dabei. Ich denke mir auch nichts bei meinen Inszenierungen. Ich mach einfach.

Thea: Man sieht, dass jemand sich zwar nichts dabei gedacht hat, aber große Lust daran hatte.

Herbert: Das ist das Entscheidende für mich, die Lust.

Thea: Ist das ein Bild für deine Arbeit, da hab ich Lust drauf, das mache ich jetzt ’ne Zeit lang und diese Art von Humor zieht sich dann auch durch die Inszenierungen?

Herbert: Ja.

Thea: Hat es mit der Form von Theater zu tun, die du machen möchtest, dass du dann eben keine echten Bretter nimmst sondern gedruckte Fotos von Brettern? Da stecken ja schon mehrere Übersetzungsvorgänge drin.

Herbert: Wenn man das aus echten Brettern bauen würde hätte es nicht diese Anmutung. Ich will ja auch bei der Art, wie gespielt wird, immer eine gewisse Künstlichkeit, dass man in eine andere Welt reinguckt. Es geht um eine klare Form. Da ist viel mehr gegeben mit der Fotografie, wie eine Illusion, und nicht die eigene Holzmaterialität, das sehe glaub ich so nach Heimwerker aus.

Thea: Alles auf der Bühne ist inszeniert, nicht nur Schauspieler, sondern auch die Bühne ist über-gestaltet.

Herbert: Ich bin entweder durchgängig Regisseur oder durchgängig Bühnenbildner, also als Bühnenbildner bin ich Regisseur und als Regisseur Bühnenbildner. Gleichzeitig, in allem, bin ich Schauspieler, als Mensch, der gerne spielt. Ich spiele gerne mit Materialien, ich spiele gerne mit den Leuten, also hat alles mit einer grundsätzlichen Spiellust zu tun.

Rob: Du hast also keine Distanz in den jeweiligen „Sprachen“, sagst nicht, jetzt schaue ich mal als Regisseur drauf, sondern es läuft alles aus dem gleichen Denken und der Lust an Material heraus?

Herbert: Lust am Material, an Körpern, an Bildern, ohne sich jetzt zu überlegen, was das jetzt bedeutet, wozu ist das da, weil das ist ja für den Zuschauer da, dass der Zuschauer assoziieren kann. Wenn man Glück hat.

Thea: Überlegst du dir, was könnte man damit machen, spielerisch? Das sind ja alles sehr körperliche Sachen, die in Bewegung bringen oder halten, ist das ein konkretes Ziel?

Herbert: Dass ich viel freie Fläche hab, ist sehr wichtig, dadurch werden die Schauspieler viel körperlicher, haben Platz, Räume wirklich zu benutzen. Platz in der Tiefe, in der Breite, in der Diagonale, dass sie nicht so aufeinander kleben, dass man viele Spielmöglichkeiten hat durch die Distanz, dass da viel entstehen kann.

Thea: Ich musste wegen des Sofas im Stroboskoplicht an alte Cartoons denken, gibt es da einen Zusammenhang?

Herbert: Ich liebe Zeichentrickfilme, wir haben uns während der Proben auch viele angeschaut, die sind ein guter Ansatz, das sind tolle Spielweisen, die man an Zeichentrickfiguren sieht. Für uns war ein Stichwort für die ganze Sache der Blick von Coyote, wenn er über dem Abgrund kurz stehenbleibt, schaut und dann erst abstürzt, das ist interessant.

Rob: Gerade die alten Cartoons haben ja einen unheimlichen Rhythmus und leben vom Slapstick des immer wieder Fehlermachens und Scheiterns. Ich musste bei Murmel Murmel, wahrscheinlich aus meiner eigenen Prägung heraus, an alte Lukas Arts Computerspiele denken, weil die ja auch diese comichaften Texturen haben und diese Farbflächen, aber auch die Musik, die da mitgespielt hat, zum Beispiel bei Day of the Dentacle hast du das gespielt?

Herbert: Nein, das ist alles entstanden, das ging vom Text aus, der einen ganz bestimmten Rhythmus hat. Dieses Bühnenbild habe ich entwickelt, indem ich mal wieder mit dem Rechner rumgespielt habe, eigentlich wollte ich eine klassische Gassenbühne machen, mit Soffitten. Ich dachte erst mal an Farbflächen, und das hat mir schon gut gefallen, und plötzlich hab ich angefangen es zu animieren, es hin und her zu fahren, da hab ich gemerkt, dass man so Zoomeffekte herstellen kann, und ich dachte, das wäre super, wenn man das machen kann. Dann hab ich das denen hier gezeigt, gefragt, könnt ihr so Seitwärtsbewegungen machen, da haben sie gesagt, ja das können wir, wir können es nur noch nicht programmieren, wir wissen noch nicht wie’s geht. Ich versuche immer, das ganze Haus zu motivieren, das ist was Grundsätzliches meiner Arbeit. Hier am Haus haben die Techniker zum Schluss hier übernachtet, um das hinzukriegen, weil sie es so sehr schaffen wollten. Die Bewegung stand eigentlich erst bei der Premiere. Wir haben auf der Probebühne alles geprobt, dann kamen auf der Bühne die Wände dazu und da haben die Spieler gemerkt, was man damit alles machen kann und das hat sich dann alles daraus ergeben.

Thea: Wände funktionieren ja viel als Wiederstände, es erstaunt mich, dass ihr die zum proben nicht hattet, weil man ja damit umgehen können muss.

Herbert: Das ist bei mir immer so. Die Sachen ergeben sich erst zum Schluss. Am Anfang baue ich erst mal so eine darstellerische Energie auf, so, dass man eine Richtung spürt, und dann, wenn die Bühne kommt, flutschen nach und  nach die Sachen so rein, dann kommen zum Schluss noch die Kostüme von Viktoria dazu und es macht peng und es ist auf einmal da.

Rob: Wie ist es für die Schauspieler? Du arbeitest ja mit einigen schon länger zusammen und die können vielleicht leichter auf das Pferd aufspringen, oder gibt es auch mal die Situation, dass du sagen musst: so funktioniert das jetzt eben, schaut doch einfach mal, lasst euch drauf ein.

Herbert: Ich muss sagen, bei Murmel war es teilweise noch so, weil die noch nicht so wussten, was das jetzt wird, aber die waren alle bereit, das volle Risiko zu gehen, und die haben auch alle mit entwickelt. Bei Ohne Titel war’s dann so, dass sie überhaupt keine Angst mehr hatten und einfach einen Wahnsinn ausprobiert haben.

Thea: Das ist auch ein Wahnsinn. Ich finde bei der Oper so erstaunlich, wie gut das funktioniert, wie die Bühne, das Brettermuster, die Figuren, das Licht, das Knarzen, wirklich wie ein Komposition zusammenlaufen. War erst die Ästhetik da, oder die Funktion? Die Absicht oder die Ausformulierung?

Herbert: Für mich ist es eine Oper und alles ist Komposition. Es ist alles Absicht, zusammengesetzt aus ganz vielen Splittern, die wir entwickelt haben. Ich hab zusammen mit den Musikern genau geguckt, wie soll sich die Musik anhören; am Anfang klang mir das zu sehr nach neuer Musik, das hat mir nicht so gefallen, und dann haben wir immer mehr einen Weg gefunden, bis sich das so eingestellt hat.

Rob: Für uns als Bühnenbildner ist es ganz interessant zu sehen, wie stark der Raum Einfluss nimmt, die Bewegung mitleitet, ohne dominant zu sein, sondern das Spiel miteinander verzahnt, da wird einerseits dem Raum so viel Gewicht gegeben und rückwirkend gibt der Raum dem Spiel so viel Dynamik. Ich fand auch interessant, wie die Musik da reingegangen ist, gerade bei der Oper dieses omnipräsente Geknarze. Wir haben ja vorhin über echtes Holz geredet, da würde dann sofort dieses Knarzen auffliegen, das kriegt seinen komischen Schrecken erst durch die künstliche Oberfläche.

Thea: Ähnlich wie die Figuren zu Puppen werden durch das Kostüm.

Rob: Die Ästhetik liegt ja irgendwo über allem. Du denkst dir den Raum unabhängig von einem Stück, hast eine räumliche Vision sogar noch vor dem Inhalt oder unabhängig davon, und dann komponierst du das da rein. Bist du da auch schon mal aufgeflogen?

ansicht_355Herbert: Das komplizierteste war wie ich in Bremen Banditen gemacht hab. Bevor ich das Stück wusste, hatte ich die Idee, dass ich gerne mal eine Bühne machen würde, wo an der Stelle, an der eigentlich gespielt wird, ein großes Loch in den Boden gebrochen ist. Wo man so richtig den Beton und die Drähte sieht, die rausschauen. Dann kamen die Banditen, und es ging schon los mit Vorbereitung und Werkstätten, und ich hatte das Stück nicht gelesen, was ich meistens nicht mache, und so hab ich erst zu spät gesehen, oh, da gibt’s ja ganz viele verschiedene Handlungsorte! Ich dachte mir, ach du lieber Himmel, das passt ja überhaupt nicht! Und dann dachte ich nein, das ist jetzt der Zwang unter dem ich steh, das muss ich jetzt versuchen hinzukriegen. Es ist was ganz eigenwilliges geworden dadurch.

Thea: Ich kenne solche Geschichten eher von Regisseuren, wenn sie davon erzählen wie ihnen ein Bühnenbildner etwas angeboten hat, womit sie gar nichts anfangen konnten. Du kannst dich selber austricksen.

Herbert: Genau, das ist so eine Herausforderung. Das mache ich gerne, das war auch mit dem Bühnenbild für die Oper so, die Größe des Sofas war von mir ganz anders gedacht: ich dachte da steht einfach nur ein Sofa, wir haben auch mit einem ganz normalen Sofa probiert. Irgendwann fragten die Werkstätten nach den Maßen und die hab ich denen geben, mir nichts weiter dabei gedacht, irgendwann meldeten sie sich dann wieder, Herbert, komm doch mal in der Werkstatt vorbei und schau dir das Sofa an. Ich kam da hin und es stand ein ganzer Pulk schon draußen, Herbert, bitte, erschrick nicht, wenn du das Sofa siehst, wir haben das Gefühl, die Maße, geh mal rein. Ich bin erst erschrocken und dann fand ich’s super! Ich dachte, genau das ist es! Das ist das tolle an Fehlern! Die muss man mitnehmen! Und mit den Schauspielern wird es plötzlich ein Schiff, eine Klippe, ein Ungetüm, ein Tier.

Robert: Ihr arbeitet ja nicht mit Requisiten, aber es gibt ja diesen Auftritt mit der Schubkarre, das ist ja auch passiert, oder?

Herbert: Ja, die stand da rum.

Thea: Hast du das erste Brett auch gefunden?

Herbert: Das hat Wolfram gefunden, der kam plötzlich mit dem Brett rein. Wenn man eigentlich ohne Requisiten arbeitet, finde ich es lustig, wenn dann so absurde Requisiten kommen, die gar keine Bedeutung haben.

Thea: Ist die knarzende Oper aus diesem Brett entstanden?

Herbert: Das wollte ich schon immer mal machen, dass es immer knarzt wenn die Leute gehen, und dazu Geräusche von Werkstatt, Streckbank etc.

Robert: Zum Ende des Bretts gesellt sich ja der Abgrund, wie auch bei Roadrunner oder den Banditen, und hier bei der Oper ist es eben der Bühnenrand!

Danke für das Gespräch!
Bilder: Thomas Aurin