Interview No. 6: Robert Borgmann
Wir freuen uns über das Interview mit Robert Borgmann, der mit seiner Stuttgarter Inszenierung Onkel Wanja zum diesjährigen Theatertreffen 2014 eingeladen wurde und sich für die Regie als auch die Bühne verantwortlich zeichnet. Da ist ein alter Volvo, da sind 199 Leuchtstoffröhren und ein angesägter Durchgang im Portal mit fahrbarer Decke. Da ist eine Bühne, die atmosphärisch unheimlich dicht ist und auf der tummeln sich wunderbare Schauspieler auf der Suche nach Menschlichkeit. Ein Gespräch über Arbeitsteilung, wo man die Kreissäge ansetzt, Zeit als Objekt, Licht als Fetisch und Spielregeln als Widerstände.
ROB KRAATZ: Du hast bei Onkel Wanja, wie schon bei anderen Produktionen, die Bühne gemacht, in anderen Produktionen wiederum hast du mit Bühnenbildnern zusammengearbeitet. Wie entscheidest du, die Bühne selbst zu gestalten, kommt das aus dem Stück selbst? Was sind für dich die Vorteile, bist du beispielsweise unmittelbarer an der Ideenfindung dran, und was sind die Nachteile, wo du dir denkst, hier hätte ich gerne Arbeitsteilung?
ROBERT BORGMANN: Grundsätzlich ist es so, dass ich konzeptionell immer vom Raum ausgehe. Wenn ich den Raum nicht habe, kann ich mir gar nichts anderes vorstellen. Da bin ich sehr vom Bild oder vom Objekt geprägt. Ich lese ein Stück und mache mir als erstes Notizen vom Raum.
Rob: Du baust dir innerlich eine Bühne, bevor du die Personen reinstellst.
Robert: Den Rahmen eigentlich, oder die Fläche, das Energiefeld, wie auch immer man das nennen möchte. Das funktioniert nur mit sehr viel Glück mit einen Bühnenbildner zusammen, der ja einen ganz eigenen Vorschlag macht, und ich dann schnell das Gefühl habe, ich bin da in etwas Fremden. Da ich meistens die Figuren auch innerlich mit bestimmten Raumkonzeptionen oder Objekten verbinde und wissen will, auf welchem Kräfte- und Raumverhältnis basiert das, will ich das nicht unbedingt aus der Hand geben. Ich wusste bei Onkel Wanja noch nicht wie ich es mache, aber ich wollte, dass Sonja sich am Schluss in der Sonne auflöst. Das kann man natürlich einem Bühnenbildner so sagen. Ich hab aber gemerkt, dass da doch eine Form von Abstand zu meinem eigentlichen inneren Belangen ist. Also hab ich irgendwann entschieden, ich krieg‘ das auch alleine auf die Reihe. Erstmal – wer weiß, was alles noch passiert – das ist jetzt kein finaler Schlussstrich sondern einfach eine Phase, in der ich merke, ich muss jetzt die Sachen, die ich zu formulieren habe, einfach selber formulieren.
Rob: Wenn du von der räumlichen Arbeit zur Regiearbeit kommst, steht deine Bühne dir da manchmal im Weg, oder gibt es sich gegenseitig genau die Impulse, die du brauchst?
Robert: Im besten Fall tut es das natürlich, das funktioniert mal besser, mal schlechter, je nachdem, wie genau die Setzung ist, die ich mir dahingeklatscht habe. Das Konzept steckt sozusagen im Raum. Beim Regie führen muss ich mich dann nicht mehr mit jeder Form von theoretisieren von irgendwas, von konzeptuellem Kladderadatsch auseinandersetzten. Das habe ich im besten Fall in diesem Raum schon drin.
THEA HOF: Du hast gesagt, dass der Raum den Rahmen schafft, in dem die Inszenierung wohnt. Dabei ging es auch darum, wie man auf das Innere der Figuren blicken kann von Außen und dass das dieser Raum irgendwie schafft. Ein total begrenztes Spielfeld, mit ganz eigenen Regeln. Wie erzeugst du diese Begrenzung?
Robert: Für mich ist bildnerisch das wichtigste Element dieses Raumes der Rahmen, den man eigentlich gar nicht mitkriegt, womit ich gewissermaßen Raumverhältnisse über einen ganz simplen Kniff ändern kann. Der Blick bekommt eine ganz andere Perspektive und so wird man wirklich reingezogen, die Sichtachsen verengen sich. Das war erst mal das Grundsätzliche: wie schafft man es, dass der Raum im Laufe des Stücks immer kleiner wird, ohne dass das wirklich ganz banal passiert, eher so, dass man es in ein Gefühl übersetzt – sozusagen das Licht, was das Bild immer drückt. Ich hatte am Anfang einen sehr viel komplexeren Raum gebaut, das ist nur ein Übrigbleibsel davon, der ging noch ganz tief, ich hab den dann irgendwann auf der Probebühne mit einer Kettensäge angefangen abzusägen.
Thea: Räume speichern irgendwie Informationen, das kriegt man schon mit, dass das bruchstückhafte jetzt keine Kunst-Setzung war.
Rob: Die Bühne hat auf der einen Seite eine große Fläche und vermeintliche Offenheit und auf der anderen Seite fühlt man sich sofort gefangen darin. Über dem Raum liegt Tchechov.
Robert: Ich glaube für jede Form von Flucht gibt es auf diesem Spielfeld zu viele Kreisbewegungen. Dieses eigenartige Versprechen von „wir kommen hier noch weg“. Der Versuch war ja, einen Raum zu schaffen, der die Möglichkeit suggeriert, aber man das Gefühl hat, die Menschen können von sich aus nicht weg.
Thea: Die Zeit wird in deiner Inszenierung zum Objekt, an dem sich die Menschen abarbeiten. Diese Leute kommen nicht zueinander als Menschen. Die Zeit aber bewegt sich weiter, als würde sie das Menschsein in Frage stellen. Die tiefer kommende Decke, die Leuchtstoffröhren als Sonne – das scheint den Menschen fremd zu sein, als wäre es gar nicht ihre Zeit, die da abläuft.
Robert: Das war eine grundsätzliche Auseinandersetzung, die ich mit den Spielern geführt habe, aber auch mit mir selber, wie nimmt man selber Zeit wahr und was ist die Objektivierung. Eine Uhr oder ein Lichtstrahl? Das löst sich ja schon komplett auf, wenn man mal im Sommer nach Norwegen fährt. Wir haben eine sehr kleinbürgerliche Sichtweise auf Zeit, also dass sie einzukasteln, verstehbar ist, man dafür Uhren bauen kann. Ich finde es spannend, dass nach jeder Revolution immer ein neuer Kalender gebastelt wird. Wie die Menschen damit umgehen, dass die Zeit trotzdem weiterläuft als vollkommen Unabhängiges von ihnen, das sind so unterschiedliche Fragen, die mich bewegen. Auch, was passiert, wenn wir nicht zugucken, gibt’s uns dann wirklich nicht? Die Welt? Kann man als menschliches Wesen, oder als Gesellschaft wissenschaftlich so dreist sein, zu behaupten, dass das alles nicht da ist wenn wir nicht da sind? Ich halte das für eigenartig, die Quantenphysik hilft mir da nicht viel. Wenn ich einem Baum beim Wachsen zugucke nehme ich an, dass er noch da ist, wenn ich tot bin, und so ähnlich habe ich das Gefühl, dass die Kreisbewegungen eintreten. Die sind einfach da. Das ist das Leben und die Welt.
Thea: Zeit messen zu wollen ist auch ein Versuch, damit umzugehen, was passiert. Die Leute in Onkel Wanja sind konfrontiert mit sich selbst, in der Einsamkeit und Ödnis, dazu kommt die Schlaflosigkeit, die Alpträume, die daraus entstehen, dass man nicht schläft, Gedanken, die sich im Kreis drehen, das hängt irgendwie zusammen. Das Auto bewegt sich ja auch unterschiedlich schnell, das Rad später dann viel zu schnell, das sind eher Gedankenzeiten, die da abgebildet werden statt realer. Es interessiert mich, ob das von einer Art Objektfetisch kommt. Das Auto war für mich auch ein Geisterschloss, in dem alle sitzen und raussenden aber nicht rauskommen. Ähnlich bei den Leuchtstoffröhren, ich habe 199 gezählt und keinen einzigen Scheinwerfer.
Robert: Ich hab versucht, darüber nachzudenken, wie ich die Sonne kalt kriege. Das ist ein langanhaltender Versuch eine Art von Melancholie ins Bild zu kriegen. Möglicherweise hat das irgendwie Fetischcharakter. Bei dem Volvo war es ganz einfach: das war die erste Idee zu dem Stück, dass es mit einem riesen Unfall beginnt. Wir hatten eigentlich sieben Autos, in denen es fast komplett spielte. Ich hab irgendwann gedacht, das sieht aus wie Autoscooter, ich kann das nicht mehr sehen, das muss weg. Ich fand den Volvo formal für den Raum das Richtige, das ist eine reine Geschmacksfrage. Was da Leute schon alles reininterpretiert haben!
Thea: Ich fahre ja Volvo, und ich weiß eigentlich auch gar nicht so genau warum.
Robert: Ich würd sagen man verbindet ein angenehm wohliges Gefühl damit. Weiß ich auch nicht warum. Es geht nicht um Symbolismus, aber man mag da reininterpretieren was man möchte. Ansonsten verbinde mit den Objekten relativ wenig, außer dass ich gewissermaßen wie so drei Layer für jeweils ein Objekt gesucht habe. Das Zwischenmenschliche, der Story, die erzählt wird, dann in der Tat so etwas zeitkontextuelles, historisches, wo sitzen da die Bezüge, und dann etwas wie einen metaphysischen Bogen – Licht zum Beispiel: das ist im Theater eine Art Tautologie, man muss halt Licht anmachen, sonst ist es dunkel, deshalb ist es schwer, sich mit Licht auseinanderzusetzen. Weil es eben vorausgesetzt wird. Ich hab mit der Sonne versucht, dass das Licht eine eigene Person wird, das ist mir meiner Meinung nach nicht ganz gelungen.
Thea: Ich hab häufiger versucht mit Leuchtstoffröhren als Licht und Raum zu arbeiten und ich bin immer daran gescheitert, dass davon ausgegangen wird, dass man die Leute sehen muss. Das ist natürlich eine sehr starke Setzung zu sagen, wir machen das eben nicht, der Schauspieler bewegt sich frei im Spielfeld, mit sich und dieser Atmosphäre allein, der wird da nicht begleitet. Auch wie die Musik nicht begleitet sondern Raum schafft. Wie machst du das, dass die Schauspieler das wirklich mitkriegen, erleben, in ihre Spielweise aufnehmen?
Robert: Das klappt nicht immer, aber in dem Fall klappt das. Das hat mit ganz simplen Dingen zu tun: wie man in einem relativ reduzierten Raum eine Atmosphäre hinkriegt, in der man wohnen kann. Was damit zu tun hat, dass wir sehr voll angefangen haben. Die Bühne war voll, als wir angefangen haben zu proben, nicht nur ein kompletter Raum, sondern auch voller Autos. Das zurückzunehmen ist immer möglich, dafür ein Bewusstsein zu schaffen bei den Spielern, ist nicht bei jedem möglich. Dem Schauspieler klar zu machen, es geht nicht darum, dass du da vorne an der Rampe stehst, sondern dass man gemeinsam ein Kraftfeld erzeugt, mit dem Raum, mit der Musik; das ist Theater, das ist alles was da ist, zusammen, innerhalb dieser Raumgrenzen.
Rob: Also du hast mit viel angefangen, hast den Schauspielern viel gegeben und hast dann auch gemeinsam mit ihnen weggestrichen?
Robert: Mal so mal so. Ich mach auch so Sachen, wie sie auf einmal auf eine leere Probebühne kommen zu lassen.
Rob: Du setzt sie einer Atmosphäre aus.
Robert: Ja, oder dreh die Musik so laut, dass man sie überhaupt nicht mehr hört, einfach um unterschiedliche Gefühle zu erzeugen.
Thea: Musik aufdrehen, Licht ausmachen, auch die Sonne, das sind alles so technische Sachen, wie kommt es denn, dass man damit diese menschlichen Zustände, von denen das Stück erzählt, so gut anschalten kann? Das ist ja ursprünglich was grundsätzlich Unmenschliches.
Robert: Das ist eine gute Frage. Für mich ist das ein kalter, unwirklicher Raum und der Mensch ist deshalb so interessant, weil er sich dagegen wehren muss, weil er sein Menschsein behaupten muss. Weil es dadurch eine sehr kräftige Fläche gibt, wo er Widerstand leisten muss. Das geht schon so los, dass ich denen sage: es ist in Kreis, also sprecht auch im Kreis. Eben den Raum so nehmen, wie er ist, nicht nach Draußen spielen, nicht fürs Publikum. Das war der Versuch und relativ interessant für mich, weil ich so etwas auch noch nie gemacht habe, nicht so extrem.
Thea: Mich hat die Spielweise sehr beeindruckt, dass Schauspieler so bei sich, im Moment und im Raum sind. Bestimmst du ein Spielfeld, dessen Grenzen angenommen werden und in dem bestimmte Regeln herrschen?
Robert: Eine Regel ist zum Beispiel auch mal: ihr dürft euch Heute nur innerhalb dieses Kreises bewegen. Das macht wahnsinnig viel. Zum Beispiel, wenn ich nicht in der Szene bin, wie verhalte ich mich dazu. Es sind oft die banalsten Sachen, die etwas herstellen, gerade bei ästhetisch reduzierten Arbeiten. Was man auch bei stärkeren Bühnenbildnerinnen wie Kathrin Brack sieht, die nur mit einem Material arbeitet, so, dass du die ganze Zeit assoziieren musst, und so sehr dran bleibst. Es gibt keine Kunstform, die mir bekannt ist, die nicht Regeln verlangt. Ohne dass ein Kraftfeld erzeugt wird, können auch keine Atome fliegen.
Thea: Deine Figuren befinden sich in einer Lage der krassen Angst, des totalen Gegeneinanders. Die Tragik dieser kleinen armen Leben, die dann auch noch durch das Wissen über die eigene Tragik und die Traurigkeit darüber, wie tragisch es ist, seine Zeit auch noch damit zu verschwenden, sich mit der Tragik des eigenen versauten Lebens zu beschäftigen, gesteigert wird. Es ging vorher darum, dass die Geschichte aus dem Raum emergiert und ich finde, dass man überhaupt davon ausgeht, dass eine Geschichte aus einem Raum entstehen kann, das ist schon eine besondere Art der Herangehensweise, die Regie und Bühne miteinander verknüpft.
Robert: Ich kann das gar nicht mehr so getrennt sehen. Ob nun Regisseur oder Bühnen- oder Kostümbildner, das ist alles so eine Uralt-soße und so eine komische Trennung.
Thea: Ich bin Bühnenbildnerin, ich lebe von der Trennung!
Robert: Klar, aber im Idealfall arbeitet man eben so eng, dass man ein gemeinsames Kraftfeld erzeugt. Im allerbesten Fall begreifen die Schauspieler von selber, was für in Raum das ist. Ich inszeniere ja auch eine Bühne. Wie bei dem Auto, da inszeniere ich mit dem Raum eine bestimmte Art von Spiel.
Danke für das Gespräch!