Interview No. 5: Ester Bruzkus und Patrick Batek

Die Architekten Ester Bruzkus und Patrick Batek Im Gespräch über Architektur zum Wohlfühlen, den Umgang mit Einschränkungen und Inspirationsquellen. Sie haben unter anderem die Hotelbars im Amano, im Mani und im Generator Hostel in Mitte entworfen.

Generator Hostel Bar K+W Fotografie
Generator Hostel, Foto: K+W Fotografie

THEA HOF: Wenn ihr eine Hotelbar designt, ist es euch da schon untergekommen, dass ihr euch Szenen vorstellt, die dort stattfinden könnten oder bestimmte Leute?

ESTER BRUZKUS: Erst mal muss man sagen, wir richten ja nicht ein. Wir machen einen Innenausbau, wir arbeiten viel globaler. Erst mal schaffen wir einen sauberen Grundriss, einen ordentlichen Rohling und eine schöne Struktur. Aus diesem Aufräumen entsteht sozusagen eine Skulptur.

PATRICK BATEK: Das ist der Unterschied zwischen Innenarchitekten und Raumausstattern. Wir bauen eine Struktur, da kommt viel Ingenieurwesen dazu, Statik, Lüftung, etc.

ESTER: Aber zurück zu deiner Frage: wir haben ja die Amano Bar gemacht. Da wollten wir einen internationalen Platz schaffen, der auch generationsübergreifend gefällt, also jetzt nicht nur den jungen Mitte-Leute oder Touristen, sondern in dem sich auch jemand ab 50 oder aus einer anderen Stadt oder vom Dorf kommend wohl fühlt. Das heißt, wir wollten einen neutralen Ort schaffen, der einen trotzdem auffängt. Das entsteht einerseits durch die Wahl der Materialien, andererseits, dadurch, dass man sagt, man bespielt die Wände, man verkleidet alles, dass man sich wie in einem Kokon wohl fühlt aber gleichzeitig noch den Platz und den Raum hat, sich zu entwickeln. In der ersten Nacht, als das Amano aufgemacht hat, haben die Leute sofort auf dem Tresen getanzt.

PATRICK: Du fragst nach bestimmten Szenen, die man im Kopf hat, ich eigentlich gar nicht. Bei uns gibt es eher ein Konzept und eine Geschichte, mit der man das auch den Bauherren vermittelt, eine Idee, die wir sehen. Und was wir gesehen haben war eigentlich, dass es gerade zu der Zeit in Mitte wahnsinnig viele Bars gab, alle in diesem shabby chic, alte Möbel, die Wände unbehandelt. Das ist ja auch toll, bloß kann man nicht die x-te Bar in Mitte aufmachen, die so aussieht. Also haben wir uns als Konzept gesetzt, einen Kontrapunkt zu schaffen, das Gegenteil zu machen. Wir haben eigentlich eine alt-eingesessene hölzerne Bar gebaut, die, in einer moderner Sprache, das Gefühl eines Herrenclubs mitbringt.
Du hast ja einen großen Bezug zu Venedig, gerade diese alten großen Hotelbars, das Gefühl wollen wir hierher bringen.

THEA: Wie wichtig ist euch Atmosphäre?

ESTER: Atmosphäre ist das A und O. Wir kämpfen oft für Dinge, wo der Bauherr sagt, „das sieht man sowieso nicht“, wie zum Beispiel, dass alle Höhen und Achsen funktionieren, dass die Fluchten eingehalten werden, dass die verschiedenen Firmen, die auf der Baustelle beteiligt sind, auch so bauen, dass zum Schluss alles in einer Achse steht. Das kreiert Harmonie, die man spürt und wahrnimmt, die man aber nicht unbedingt sieht. Die kleinen Details sehen nur wir, aber final kommt man in einen Raum, und man hat das Gefühl, es stimmt alles.

Dean Stjepan Sedlar
Dean, Foto: Stjepan Sedlar

THEA: War das ein Weg, rauszufinden, wie eine bestimmte Atmosphäre geschaffen werden kann, die Leute einlädt, ab dem ersten Tag auf der Bar zu tanzen?

PATRICK: Das sind ein Paar ganz einfache Grundprinzipien. Die Materialien müssen stimmen, die müssen ein Wohlgefühl vermitteln und ganz wichtig ist Licht. Und eine gewisse Haptik. Wenn du weißt, dass der Benutzer es anfassen möchte, kannst du irgendwie sicher sein, dass er’s auch mag.

ESTER: Ich hab das echt gelernt. Und das es auch mit dem Erwachsenwerden im Beruf zu tun hat, zu lernen, mit den Materialien umzugehen. Bei meinen ersten Projekten hätte ich am Ende jedes Mal heulen können, weil sie so kalt und unfertig waren. Erst mit der Zeit kam das Bewusstsein dafür, wie man Atmosphäre kreiert. Das kann ich nicht beschrieben, aber intuitiv wissen wir das immer besser. Umso mehr Erfahrung man hat, desto erwachsener man wird, desto qualitativ hochwertiger wird alles. Und dadurch stimmt die Atmosphäre auch. Umso mehr ist es von Tag 1 an ein super Ergebnis. Zum Beispiel im Mani haben wir alle Wände mit Holz verkleidet, mit viel dunkler Farbe gearbeitet, vorgegeben, wo die Bilder hängen und wo Wandleuchten hin sollen, wir haben eigentlich auch alles schon fertig dekoriert. Dadurch kommst du rein und ein Objekt ist fertig.

THEA: Hat es damit zu tun, wie man einen Raum mit Leben füllt? Im Prinzip will ich die Schauspieler auch einladen, zu spielen, wenn ich eine Bühne mache. Wenn man so eine Bar macht, will man auch die Leute einladen, einen Teil ihres Lebens darin zu verbringen.

ESTER: Ich hab einen sehr gutes Beispiel, wo Bühnenbildner eine Bar sehr aufwendig gestaltet haben: Tapeten an den Wänden, die mit einem Bunsenbrenner abgebrannt sind, ein Tresen, der aus verkohltem Holz gemacht scheint, der dann aber aus Plastik ist, wenn du es anfasst. Es sah aus wie bei From Dusk Till Dawn und wenn man das erste Mal reingekommen ist, dachte man, WOW! Das war voll cool! Aber es hat keine zwei Monate gedauert, da wollte da keiner mehr hingehen. Es war zum Schluss nur ein Bühnenbild. Wenn du die Sachen angefasst hast, hast du gemerkt, das ist ja gar nicht echt. Es war am Anfang spannend, aber es hält niemanden. Wie Disneyworld.
Aber wenn Material richtig eingesetzt wird und alles mit der Zeit eine gewisse Patina bekommt, dann bleibt es auch spannend und man freut sich jedes mal, wenn man den kalten Stein anfasst und das warme Holz dagegen spürt und das Leder, was älter wird.

Amano Bar Berlin Stjepan Sedlar
Amano Bar, Foto: Stjepan Sedlar

THEA: Ist eine Hotelbar vielleicht erst fertig, wenn die Leute drin sind?

ESTER: Ja. Auf jeden Fall. In dem Moment, wo der Nutzer reingeht und damit umgeht, kriegt das Ganze eine Seele. Der Raum muss erobert werden.

THEA: Bis zu welchen Punkt gebt ihr was vor, wenn ihr sagt, ihr überlasst möglichst viel dem Nutzer?

ESTER: Das ist auch eine Sache des Erwachsenwerdens. Bei meinem ersten Projekt hab ich angefangen zu weinen, wenn der Nutzer sich Sockelleisten selbst rein gebaut hat. Im Amano gab’s von Anfang an Änderungen. Man muss es gehen lassen können und man muss aufhören, sich zu identifizieren. Dann gibt’s da keine Grenze, man kann dem auch keine Grenze setzten, es gehört ja nicht mehr uns. Man bittet uns, einen Raum zu schaffen, und dann bittet man uns auch, ihn loszulassen. Das ist sehr schwer.

PATRICK: Ich geh sehr ungern zurück und schau mir die Sachen nochmal an. Für mich ist das abgeschlossen und hat mit mir nichts mehr zu tun. Ich guck irgendwie nach vorne. Deswegen fällt es mir unheimlich schwer, eine Website zu machen, ich mag keine Fotos sortieren und dokumentieren. Für mich ist das abgeschlossen.

THEA: Was für eine Bar würdet ihr gerne machen, wenn ihr alles selber entscheiden könntet, Budget, Ort, Raum, Größe, gibt’s da eine Traumbar?

ESTER: Wenn man mir ein leeres Dach irgendwo ganz oben geben würde, wo man dann mit der Hülle machen kann, was man will, und trotzdem diese Weitläufigkeit kreieren kann. Das würde ich gerne machen.

PATRICK: Ich denk grad an eine Struktur. Für mich ist ganz wichtig der Ort. Die Stadt, dann der Ort selber, ob das jetzt ein leeres Dach ist oder die Panorama Bar – wenn man mir das Berghain geben würde, das wäre irre. Aber ich könnte da gar nicht viel machen, ich wollte das gar nicht haben, weil das an sich so toll ist, was soll ich denn da machen? Deswegen ist eigentlich so ein leerer Dachrohling besser.

ESTER: Wobei, gleichzeitig ist so ein leerer Dachrohling eine viel größere Herausforderung, weil man da ja keine Grenzen hat. Eigentlich ist es schöner, begrenzt zu arbeiten, wo man viele Regeln hat. Und man daraus trotzdem was neues, was Unerwartetes schaffen kann.


Mani K+W Fotografie
Mani, Foto: K+W Fotografie

THEA: Eben meintest du, Ester, dein Wunsch wäre, alles selber gestalten zu können, und du, Patrick hast gesagt, sowas wie das Berghain, was so viel vorgibt. Irgendwie scheint das ein Spannungsfeld zu sein. Wie geht ihr mit Grenzen um?

ESTER: Ich glaub das ist Der Grund, warum wir im Moment erfolgreich sind, die Aufträge von alleine auf uns zu kommen. Weil wir die Grenzen respektieren. Wir holen das Beste aus einem Projekt raus und unterstreichen auch die Schwächen. Wenn man uns einen langen schmalen Raum gibt, dann probieren wir, den noch länger und noch schmaler zu machen, indem wir eine längere Bar reinsetzen zum Beispiel. Das ist glaube ich unser Talent, das Beste aus etwas rauszuholen, was vielleicht erst mal gar nicht so perfekt ist.

PATRICK: Ich finde, wenn du jetzt ein ganz freies Feld hast, ist es extrem schwer. Ich bin dankbar für alle Einschränkungen, über die räumlichen Gegebenheiten, den Input vom Bauherrn, übers Budget, naja, darüber weniger. Aber über die Parameter Räumlichkeiten und Wünsche.
Aber bei deiner Frage eben, war mein erster Gedanke eigentlich ein ganz anderer, dass ich dachte, es gibt bestimmte Bars auf der Welt, über die man immer redet. Zum Beispiel die Hemingway Bar im Ritz Carlton in Paris, was gerade renoviert wird. Ich war da noch nie, aber ich hab schon so oft davon gelesen, irgendwas ist damit. Und eigentlich würde ich gerne mal so eine Bar schaffen.

ESTER: In einem anderen Maßstab haben wir das doch schon gemacht! Also ganz ehrlich, bevor das Amano da war, und die Amano Bar, war die ganze Gegend ein bisschen Gesichtslos. Und dann hat man da dieses Hotel hingestellt und unser Bauherr hat uns ganz klar gesagt, „kommt, investiert da nicht zu viel Mühe und Herz, kein Berliner wird jemals in eine Hotelbar gehen“. Und von Tag 1 waren da nur Berliner! Okay, jetzt ist das vielleicht schon wieder etwas anders, aber jetzt ist es auch schon wieder 5 Jahre alt, und es ist voll, die Leute gehen da gerne hin und man feiert da. Ob man das nu mag oder nicht, es ist trotzdem etwas, was das Gesicht Berlins ein bisschen verändert hat.
Wir waren auch in einer Top Ten Dokumentation von arte über die 10 besten Bars der Welt dabei – aber bei den letzten fünf Bars dann eben nicht mehr.

PATRICK: Und in der New York Times wurden wir erwähnt!

THEA: Und jetzt komm’ ich! Was ist denn für euch der Unterscheid, was macht eine Hotelbar zur Hotelbar im Gegensatz zu einer normalen?

PATRICK: Das sind in erster Linie die Besucher, dass es normalerweise eben Hotelgäste sind, in diesem Fall aber eben nicht nur: es kommen sogar Leute aus Westberlin extra nach Mitte, um in die Amano Bar zu gehen!

ESTER: Aber wir machen keinen Unterschied. Höchstens, dass ne Hotelbar mit dem Rest des Hotels funktionieren muss. Dass man schaut, wie sehen die Lobby, das Restaurant, das Frühstück, die Zimmer aus, muss ich eine andere Sprache sprechen. Es ist wie der finale Punkt einer Geschichte. Zum Beispiel beim Generator Hostel haben wir Kupfer im Keller gefunden und haben das dann zum Thema der Bar genommen. Wir haben das dann fertig gebaut, und dann kam die Interior Designerin der Kette und hat noch viel mehr aus dem Hotel reingeholt, weil es denen zu eigenständig war. Das war dann eine Kritik. Wir schaffen sehr eigenständige Orte.

TimRaue Wolfgang Stahr
TimRaue, Foto: Wolfgang Stahr

THEA: In dem Interview mit Christian (Kiehl) haben wir uns darüber unterhalten, dass die Stücke bei Tennessee Williams teilweise so heißen wie die Räume, in denen sie spielen oder wie bestimmte Requisiten, die darin vorkommen. Williams scheint dramatisches Potential aus der Realität zu nehmen, und er hat die Hotelbar ja als Ort und Titel für sein stück „Eine Hotelbar in Tokyo“gewählt. Das muss für ihn ein Ort gewesen sein, der eine Kraft mitbringt, dass so eine persönliche Geschichte plötzlich nach außen getragen wird, an einen öffentlicher Ort, an dem sich das private Drama abspielt. Ist eine Hotelbar für so etwas prädestiniert, als Bühne für bestimmte Zustände?

PATRICK: In dem Stück fliegen halt die Fetzen. Ich bin jetzt kein Fan von öffentlichem Streit, aber wenn die Bar da nun mal dazu dient, von mir aus kann man sich streiten, wo man will. Wenn die Bar so eine Kraft hat, die Leute zu sowas bringt, bin ich dafür.

ESTER: Ich muss da an Lost in Translation denken, das spielt ja auch in dieser Bar hauptsächlich, wo sich Leute treffen und Begegnungen entstehen sollen aber nicht entstehen. Wir lassen uns ja auch, wie Tennesse Williams, von Gegenständen inspirieren, wenn wir etwas entwerfen oder gestalten.

Skybar BBAP
Skybar, Foto: BBAP

THEA: Kommt es vor, dass ihr auf der Suche nach Inspirationsquellen an Filme, wie zum Beispiel Lost in Translation, denkt?

ESTER: Doch. Manchmal schon. Das ist eigentlich ganz bescheuert. Aber als wir das Mani entworfen haben, hab ich viele amerikanische Serien gesehen. New York, Gossip Girl, Upper East Side, und das war dann schon sehr inspirierend, zu sehen, was für Orte es da gibt, die es hier in Berlin nicht gibt. Ich hatte eine gewisse Atmosphäre und ein Gefühl dazu im Kopf, das ich nach Berlin bringen wollte und gleichzeitig sollte das kein Fremdkörper werden, nicht wie ein Alien hier einfach reingestellt werden, sondern es sollte mit diesen Einflüssen im Kopf hierher passen. Aber ja, ich sehe solche Szenen schon. Oder hab ein Gefühl, was ich vermitteln möchte, was entstehen soll. Es hilft auch, um es den Kunden zu erklären.

PATRICK: Zur Entstehung des Mani hatte ich mich mit der Kunstszene in New York in en 70ern beschäftigt, die Studio 54-Ära, Bianca Jagger. Das hat mich wahnsinnig interessiert und so hatte ich diese Bilder halt im Kopf und natürlich leitet man das dann davon ab. Ich glaube, das ist Architekturunabhängig, das ist in der Mode so, das ist als Schriftsteller so, womit du dich gerade beschäftigst fließt ein, auch wenn es eine Modeerscheinung ist, die man gerade mitmacht.

ESTER: Romy Schneider in den 70ern, nicht dieses Hippie-70s Ding, sondern eben das schickere, das hatten wir im Kopf.

THEA: Ich hab noch nie gehört, dass Architekten mit einer Schauspielerin im Kopf an was rangehen! Das finde ich sehr Bühnenbildmäßig…

PATRICK: Ja! Stimmt. Und dazu hatten wir dann im Dean diese Treppe aus dem Chanel Hauptquartier im Kopf und schon waren diese schmalen Spiegel übernommen. So kommt eins zum Anderen. Sicherlich gibt’s da keinen Überbau, aber gleichzeitig doch eine Gefühlswelt, die das Ganze zeichnet.

ESTER: Innenarchitektur, Architektur, Bühnenbild sind überhaupt nicht weit entfernt voneinander. Wir schaffen auch eine Bühne, die durch den Betreiber durch die Gäste Leben eingehaucht bekommt. Und wenn die gehen, ist die Bühne wieder leer.

Mehr über Ester Bruzkus und Patrick Batek hier: bruzkusbatek.com

Dean Stjepan Sedlar
Dean, Foto: Stjepan Sedlar