Interview No. 4: Christian Kiehl
CHRISTIAN KIEHL, BÜHNEN- UND KOSTÜMBILDNER, IM INTERVIEW ÜBER SEINE LETZTEN BEIDEN BÜHNENBILDER, BEIDE FÜR STÜCKE VON TENNESSEE WILLIAMS UND IN DER REGIE VON SEBASTIAN SCHUG: „Glasmenagerie“ am Nationaltheater Mannheim und „Hotelbar in Tokyo“ am Staatstheater Kassel
THEA HOF: Was hast du durch diese beiden arbeiten über Bühnen für Tennessee Williams Stücke herausgefunden?
CHRISTIAN KIEHL: Ich hab festgestellt, dass Williams eindeutig Naturalist ist und sehr genaue Vorstellungen von Raum, Licht, Atmosphäre, Musik, Requisiten hat.
Da steht ganz genau in den Regieanweisungen, wo die Tür ist, wo noch ein Beistelltischchen steht und ob da noch ein Deckchen drauf ist, an welcher stelle noch ein Kamin steht, er hat eine klare Vorstellung, im Detail.
Da gab es für mich zwei Wege, damit umzugehen: bei „Glasmenagerie“ war es eher der Wunsch, rauszufinden, was substantiell wichtig ist für den Raum.
Das spielt in einem Wohnzimmer und einer Küche, also in privaten Räumen, aber ich hab beim Lesen rausgefunden, dass es eigentlich ein öffentlicher Raum ist. Wenn die Darsteller beispielsweise im Hintergrund sind, hören sie trotzdem immer, was im Vordergrund passiert. Die 4 Hauptdarsteller kommen nicht aneinander vorbei, können nicht voreinander fliehen, was ja auch den Konflikt bedingt, den sie miteinander austragen.
Bei „Hotelbar in Tokyo“ hat sich rausgestellt, dass die Spieler den Raum im Verlauf des Abends umgedeutet haben von einem öffentlichen zu einem privaten Raum. Also umgekehrt als bei „Glasmenagerie“, wo ein privater zu einem sehr öffentlichen Raum wird, ein Ort ohne Rückzug, wird diese Hotelbar, die ja erst mal ein öffentlicher Ort ist, zu einem sehr privaten Ort, wo nur 3 Menschen sind, die sich auch über die intimsten Dinge unterhalten.
Wie ist es, eine Bühne für ein Stück zu machen, dessen Stücktitel schon sagt, was auf der Bühne steht?
Das eine Stück heißt Glasmenagerie, da gibt das Requisit den Titel her, bei dem anderen ist es die Bar, die sogar den Titel gibt, irgendwie scheint die wirkliche Welt immer einen Anlass zu geben, über Sehnsüchte oder tiefliegende Gefühle sprechen zu können: Da wird teilweise über Requisiten oder Räume was erzählt, was viel tiefer liegt. Bei anderen Stücken fällt mir das leichter, zu sagen, was braucht man wirklich, geht das nicht auch in einem leeren Raum, muss man sich da verstecken können oder nicht, oder muss es Eingänge geben oder ist das eng oder weit. Das kann man ja manchmal auch abstrakt runterbrechen auf gröbere Raumfragen, bei Williams hab ich da nicht so einen richtigen Weg gefunden, weil es so kleinteilig ist, eine Szene z. B. ohne das Requisit nicht funktioniert.
Ich will ja einen Raum finden, der dem Stück, dem Abend, den Schauspielern oder den Zuschauern hilft, was dazu beiträgt oder das Thema des Stücks nochmal von einer anderen Seite beleuchtet oder weiter drüber nachdenken lässt, und ich hatte das Gefühl, wenn man so einem Williams-Abend den Raum oder die Kleinigkeiten nimmt, dann verliert der auch im Ganzen an Substanzialität.
Genau das hat mich bei der „Hotelbar“ verwundert, dass die Bühne so realistisch war, weil ich von dir erst mal erwarte, das du guckst, was braucht das, und sehr viel mehr machen wir auch nicht. Das war jetzt eben so – ausgemalt!
Bei der Hotelbar war der Ansatz tatsächlich, überdeutlich auszumalen. Ich fand das gut, in diese kleine Hotelbar ein bisschen Chaos einer Großstadt zu bringen, bei Tokyo hab ich an Leuchtreklame gedacht und New York ist ja auch Thema, da denke ich an zu viele Eindrücke, die auf einen einwirken.
Und wenn es dann erst mal heißt, dann lieber zu viel, kriegt man eben auch Freude am Dekorieren. Interessanterweise hat das die Schauspieler aber gar nicht so beeinflusst.
Versuchst du die Schauspieler zu lenken?
Eigentlich nicht. Die sollten im Vordergrund stehen. Deswegen ist das sonst bei mir gern so abstrakt, mit wenigen Orten, wo sich Schauspieler verstecken können, die sind dem Zuschauer immer sehr ausgesetzt. Das liegt auch an [Sebastian] Schugs Arbeit, der will ja viel von denen sehen, und ich auch. Die und das, was sie tun, machen ja den Abend aus, und wenn die ins Hintertreffen geraten gegenüber einem zu opulenten Raum finde ich das immer schade.
Man will ja dabei sein, wenn sie gerade erfinden, was sie sagen, das ist ja die höchste Kunst am Schauspiel. Da ist so ein Raum sicher hilfreicher als ein leerer schwarzer Kasten.
Stimmt. Die Bühne war für die Schauspieler ja eher ein Set, das sie auch relativ realistisch bespielt haben.
Es hat mir gefallen, quasi mit Theatermitteln einen Set-Eindruck zu erzeugen, aber eher als Zitat, in einem echten Set wären da noch Fußleisten, Schalter, Steckdosen, eben Details, die einen Raum komplettieren. In unserem Fall ist der Plafond sichtbar aufgehängt, die Karaokebühne ist eindeutig eine Alu-Theaterzarge, der eine Zug ist sichtbar etc.
Man hätte noch mehr zum Cinemascope werden können, wenn man einen Rahmen gebaut hätte, durch den man reinschaut, und da haben wir ja diese Figuren drangesetzt, in 2D, die ein Portal bilden sollen aber keine scharfe Abgrenzung. Die Spieler gehen ja auch mal vor die Bar, zum Zuschauer hin, der Musiker sitzt außerhalb, der Set-Charakter wird schon gebrochen.
Und es gibt im Umgang mit Licht eine ziemlich große Veränderung zum Ende des Stücks, da gibt’s plötzlich Nebel und Licht von Vorne und Außen, wo am Anfang nur versteckte Scheinwerfer benutzt werden, die es warm und gemütlich machen. Wenn die Fassade durchbrochen und die Katastrophe passiert ist, gibt’s auf einmal Endzeitstimmung – also der Versuch, nicht mit der Änderung des Raumes sondern der Atmosphäre, des Lichts, nochmal zu zeigen, jetzt geht’s uns aber anders.
Wenn du dich mit Oberfläche beschäftigst, wie kommst du dann unter diese Oberfläche, an die Verletzungen dieser vermeintlich oberflächlichen Menschen?
Das ist eine gute Frage zu Tennessee Williams, weil ich mir beim lesen da manchmal denke, na das ist ja auch nicht sehr viel mehr, als in einer Folge Gute Zeiten Schlechte Zeiten passiert, bei „Glasmenagerie“ zum Beispiel. Da habe ich erst über häufigeres lesen und vor allem die Proben festgestellt, dass da doch noch mehr dahinter ist. Ob man das auch noch mit einem Raum bebildern sollte ist so die Frage. Was mir gefallen würde, wäre, wenn man im Laufe des Abends merkt, ich interessiere mich wirklich dafür, wie es denen geht. Einer stirbt, einer ist am Rande des Wahnsinns, die andere weiß überhaupt nicht mehr wohin mit sich, der Verlauf bis zu diesem Punkt interessiert mich da. Ich konnte und wollte das aber nicht noch unterstützen mit dem Raum, es gibt auch gar nicht richtig einen Wendepunkt, das ist eher ein schleichender Prozess.
Der Umgang mit dem Raum ändert den Raum.
Genau.
Zurück zum Vergleich. Bei der „Hotelbar“ war es als die Lust zu erfüllen, was Tennessee Williams sich so vorgestellt hat, und bei der „Glasmenagerie“ wolltest du diese Vorstellungen eher hinterfragen.
Ja, das war ja auch mein erster Versuch mit Williams, aber auch da gilbt es schon dekorative Elemente oder mehr Requisiten als sonst oder überhaupt mal ne Farbe statt nur dem echten Material und Vorhänge… aber vielleicht habe ich mich da auch noch nicht richtig getraut so viel zu machen. Da hab ich den Schauspielern auf der Konzeptionsprobe noch erzählt, da steht ne ganze Seite darüber, wie der Raum aussieht, da ist man als Bühnenbildner erst mal nicht so begeistert, weil man selber erst mal rausfinden möchte, wie der Raum aussieht, oder worum es genau geht.
Deswegen ist das relativ reduziert geworden, es gibt Elemente aus dem, was Williams vorschreibt, aber vor allem diese schmale Bühne, an der man nicht aneinander vorbei kommt. In einer gewissen Weise ist es da eng, es gibt keinen Ausweg, deshalb gibt es auch nicht 2 oder 3 Räume wie bei Williams sondern nur einen. Die Figuren sind einander immer nah und kriegen mit, was der andere macht, das wollte ich vergrößern.
Es hat auch was mit einem Weg zu tun. Wenn ich Williams da schon mehr vertraut hätte, was der über Menschen erzählen kann und was dabei rauskommt, hätte ich ihm vielleicht auch in seiner Raumidee mehr vertraut, wie jetzt bei „Tokyo“.
Vielen dank für das Interview!