Interview No. 3: Sebastian Brameshuber

SEBASTIAN BRAMESHUBER, FILMEMACHER, Im Interview über seinen Film „Und in der Mitte, da sind wir“, der gerade auf der Berlinale Premiere hatte.UND IN DER MITTE, DA SIND WIR_michi_david_see_grade_KGP

THEA HOF: Du hast ursprünglich Bühnenbild studiert, wie kam es, dass du Dokumetarfilmer geworden bist?

SEBASTIAN BRAMESHUBER: Ich hab mich eigentlich interessiert für Avantgarde- oder Experimentalfilm, da wollte ich nicht auf die Filmakademie, das war mir zu akademisch und auch sonst kann man das halt nirgends richtig studieren. Also saß ich nur in der Avantgardefilm-Vorlesung an der Angewandten, und da habe ich einen Kollegen von uns kennengelernt, der meinte, bei uns kannst du sowas machen! Und dann hat Bernhard [Kleber] mich sogar verspätet aufgenommen; ich hatte gerade die FH Salzburg für Multimedia Art abgebrochen und die Bewerbungsfristen waren eigentlich schon vorbei. Das war damals insgesamt weniger streng als jetzt.

Wo liegen denn die Schnittstellen? Warum meist du hat er dich trotzdem aufgenommen und was konntest du andererseits mitnehmen?

Es gibt ja nun mal dieses Meisterklassensystem, was schade ist, weil das patriarchal und überkommen ist, aber deshalb muss man Bernhard immer mitdenken. Ihm gefielen meine Videos, für ihn war das interessant, Leute aus verschieden Bereichen zusammenzubringen, da gibt’s ja immer wieder Leute, die besonders gut zeichnen können oder Figuren aus Knete basteln.
Für mich war die Beschäftigung mit Theatertexten gut, da geht’s viel um Interpretation, Analyse, Dramaturgie, Bilder, Räume, alles Dinge, die im Film genauso eine Rolle spielen. Also eher die Dinge, die einer Bühnenbild-Umsetzung vorausgehen.

ebenseecrimeWie hast du dir bei dem Film überlegt, in welchen Rahmen oder Bildern du die Leute abbildest? Mir ist aufgefallen, dass du sehr klare und statische Bilder suchst, oft mit symmetrischer, ausgesuchter Geometrie, also sehr ausgewählte Bilder, die artifiziell wirken, obwohl die Räume selber aus der Natur oder schon vorhandener Architektur genommen sind. Darin verhalten sich die Jugendlichen, die du portraitierst, aber ganz uninszeniert, da gibt es irgendwie einen maximierten Abstand.

Ich wollte eine konsistente Bildsprache finden, was mir bei meinem ersten Film „Muezzin“ nicht gelungen ist, da war ich im Nachhinein genau mit diesem Aspekt unzufrieden. Ich finde ihn inhaltlich toll aber formal unspannend. Deshalb hab ich mir für diesen Film die Frage gestellt, was ich formal will und im Umgang mit der Zeit im Film. Das hängt ja sehr zusammen; also wie funktioniert das Bild im Verhältnis zur Zeit. Es ist aber gar nicht so leicht, den Kameramann zu finden, den man dazu bringen kann, minimalistisch zu drehen. Das ist wahnsinnig schwierig für Kameraleute beim Dokumentarfilm, die haben das Gefühl, die machen nix, wenn die nur daneben stehen mit der Kamera auf dem Stativ.

Wer hat die Orte und Bilder ausgesucht? Ich war mir sicher, dass das geplant war, im Gegensatz zu dem Verhalten der Jugendlichen, von dem du ja erzählt hast, dass die dich immer wieder sehr überrascht haben mit ihren ständig wechselnden Haltungen zum Leben. Hast du dir was gesucht, was du steuern kannst?

Die Motive habe ich ausgesucht, die Feinarbeit passierte dann mit dem Kameramann zusammen. Aber ja, das hab ich mit Absicht gemacht, ich hab die Bilder immer noch aufgeräumt, im Hintergrund was weggeräumt etc. Mir ist es halt wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem das Gezeigte an Allgemeingültigkeit gewinnt und nicht so spezifisch an den Ort gebunden bleibt. Es gibt ja auch weder Establishing-Shots des Ortes – klassisch wäre eine Miniaturansicht des Ortes von einer Erhöhung aus gedreht – noch sonst irgendwelche Bilder, die einen ethographischen Blick im Sinne von „Jetzt schauen wir uns mal genau diesen Ort an“ behaupten. Es war mir wichtig auf Augenhöhe zu operieren.
Dann war diese Entscheidung zu streng kadrierten Bildern sicher auch ein Weg, den schwer berechenbaren Anflügen jugendlicher Energie formal etwas entgegenzusetzen. Überspitzt formuliert könnte man sagen: ich hab sie in die Bilder gesperrt. Ich, der Filmemacher, gebe mich in diesem Film ja auch als weitere fragende Instanz und Autorität zu erkennen – neben Eltern, Schule, Institutionen, Arbeitgebern, …

Das trägt auch viel bei zu der Atmosphäre des Films, aber man fragt sich natürlich schon, was gibt’s denn da noch? Du gibst einem einen starken Tunnelblick mit, diese statische Klarheit, der Tunnel an sich, der Teil des KZs war, die 3 portraitierten Jugendlichen, die sich ganz ähnlich sind, und man sieht insgesamt so wenig.

Ich mag Filme nicht, die sagen, es gibt ja auch noch das Gute. Diese Moral ist mir zu banal. Es gab eine Protagonistin, die die ganze Zeit versucht hat, den Ort zu verkaufen, und das war schnell eine gekünstelte und dadurch undankbare Rolle. Das war auch unfair gegenüber den anderen Jugendlichen im Film. Die sind ungekünstelt und vergessen schnell, das ist ja das schöne, für die ist ein Jahr eine Ewigkeit, das sagt der eine ja auch im Film.
Im politisch Korrekten steckt ja meistens mehr Verlogenheit als z. B. in der zwar bedenklichen, aber ehrlich empfundenen Erinnerungsmüdigkeit. Und die Kamera lügt nicht, man spürt das sofort. Insofern wäre es in jeder Hinsicht ein Schuss ins Knie gewesen, sich einer behaupteten Objektivität anzubiedern. So empfinde ich das auch bei Filmen, die das versuchen. Da fühle ich mich schnell bevormundet.

lehrerMan hat durch die Kamera einen sehr unkommentierten und nüchternen Blick auf die Drei, als wäre die Kamera nicht da, trotzdem ist man sehr nah dran. Dazwischen schieben sich dann z. B. Bilder von der den Ort umgebenden Bergwand. Die Bilder sind der Filter, durch die man die Jugendlichen betrachtet.

Das ist schon alles sehr bewusst gesetzt, dass die Kamera so die Szene zeigt, dass zwischen den Bergen keine Lücke ist, sondern man auf die geschlossene Wand schaut. Der Ort wirkt absichtlich geschlossen und introvertiert, was er auch ist. Wobei es mir wiederum nicht so sehr um den spezifischen Ort geht, sondern darum, was das mit den jungen Bewohnern macht. Die Kids gehen selten raus. Die nutzen auch das Internet nicht so, um sich zu informieren. Ich komm ja auch aus der Gegend und als ich jung war, war das noch viel schwieriger, da kam ein mal im Jahr ein Freund aus Amerika und brachte die neuesten Platten mit, oder wir haben Abends FM4 gehört, um uns auf dem Laufenden zu halten. Das machen die aber nicht. Die bewahren sich ihre Abgeschlossenheit.

In Österreich sind ja beispielweise Themen wie Umweltschutz und Biolandbau eher Domäne der rechten Parteien, und ich habe mich gefragt, ob man nicht manchmal in der Sprache über Heimat-Begriffe stolpert, die vielleicht nicht mit Nazivokabular zu vermischen sind, sondern wirklich eher was mit Tradition zu tun haben.

Ja, es geht ja um Konservieren, nicht nur von Heimat und Boden, sondern auch des Kaiserkults, weil ja die 2. Republik auf einer Geschichtslüge basiert, nämlich dass Österreich das erste Opfer Nazi-Deutschlands war. So hat man sich nach 1945 stark auf die Verklärung des Kaiserreichs gestützt, auf die schönen Berge, die Natur, … siehe das Konvolut an Heimatfilmen aus der Nachkriegszeit, siehe „Sissi“. In dieser Region, im Salzkammergut, hat der K. u. K. Hofstaat immer Sommerfrische gemacht. Davon grenzen sich aber die Ebenseer stark ab, die wollen mit Bad Ischl als K. u. K. Sommerfrischeort auf der einen Seite und Gmunden als snobistischem Reichenort auf der anderen nix zu tun haben. Das ist geschichtlich gesehen ein Ort, der immer in einer Sandwichposition war. Heimat hat in Ebensee durchaus einen sehr speziellen Stellenwert, weil es immer darum ging, sich abzugrenzen gegenüber den umliegenden Gemeinden. Sich die eigene Sprache, den eigenen Dialekt, zu erhalten gehört dazu, Ebensee war durch die schwere Erreichbarkeit über Jahrhunderte relativ isoliert.

Also Identitätsstiftung durch Abgrenzung und Ausschluss. Es gibt ja dieses Phänomen, dass alle Österreicher Deutschland kennen, aber die Deutschen selten was über Österreich wissen: hast du den Ort gefunden, an dem dieser Minderwertigkeitskomplex genauso gegenüber dem Rest von Österreich ausgeprägt ist?

Es gibt sicher einen Minderwertigkeitskomplex, der durch Aufrechterhalten von Traditionen etc. kompensiert wird. Generell denke ich aber, dass es in Österreich eine Renaissance von heimatverbundenem Denken gibt. Das Problem ist, das dieses Feld ausschließlich von Rechts beackert wird, dadurch wird das Thema schnell populistisch missbraucht und ins Reaktionäre gezogen. Plötzlich ist der Nationalsozialismus als Referenzpunkt da und schnell sagen irgendwelche Jugendlichen „Ausländer raus, der Hitler war ja auch gegen Ausländer“. Das ist ja vielfach ganz unverdaut!

Diese Art von Dummheit hat ja was mit bildungsferner Provinz zu tun, nicht nur in Österreich, sondern auch woanders.

Das funktioniert in meinem Film denke ich auch über die Bilder, die eine gewisse Abgehobenheit von dem Ort haben, an dem ich das gedreht habe. Das ärgert mich immer, dass z. B. schon im 15 km entfernten Gmunden gesagt wird: „Die Nazis, die sind in Ebensee, da wurde die Gedenkfeier gestört, bei uns gäbe es das nicht!“ Natürlich bildet der Film ab, was für Gesamtösterreich gilt. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob es sich auf die bildungsferne Provinz beschränken lässt.

Diese Eltern, die in einem Satz sagen, „Können wir das Ganze nicht hinter uns lassen und einfach schauen, dass Sowas nie wieder passiert“, unfassbar, wie man das so verwechseln kann! Gerade diesem Teil der Geschichte des Ortes verweigern sich die Ebenseer ja völlig! Und genau da hast du ja das Spannungsfeld deines Films angesiedelt. Auf der einen Seite der Blick in die Vergangenheit, durch das KZ und die Gedenkfeiern und auf der anderen Seite, der Blick und die Zukunft, auf die Biografien der Jugendlichen.

In dem Alter hat man sicher andere Dinge im Kopf als die Vergangenheit, dieses Ewige Heute, das die Jugend für mich eigentlich auch war. Wenn du da nicht von der Familie her auf dieses Thema sensibilisiert bist, ist es wahnsinnig schwierig für Bildungsinstitutionen oder öffentliche Geschichtsaufklärung, da noch was zu bewegen. Da geht’s auch um Erzählperspektiven. Da heißt es schnell, meine Großeltern haben den Häftlingen Brot zugesteckt. Das hat der ganze Ort gemacht. Die waren eigentlich ganz gut genährt, da drinnen. Das sind kleine Dinge, die vorschnell zu Widerstandsakten hochstilisiert werden. Z. B. das DÖW, Dokumentationszentrum Österreichischen Widerstandes, das sich heute nur noch mit der Täterseite beschäftigt, wurde ursprünglich auch als Teil der Geschichtslüge gegründet. Der Trägerverein des Zeitgeschichtemuseums in Ebensee heißt Widerstandsmuseum. Es ist schon wichtig, den Widerstand in die Geschichtsbetrachtung mit einzubeziehen, dass kann ja auch Identifikationspotiential haben und stolz machen, aber man darf das nicht in den Vordergrund rücken! In Frankreich gab’s ja auch nur die Résistance…

stollenIch fand diese Zahlengeometrie interessant: es gibt heute knapp 8000 Ebenseer, und es sind 8500 Leute im Lager gestorben. Eigentlich müsste man den Jugendlichen nur diese Zahl unter die Nase reiben, dann müssten sie sich doch ungefähr vorstellen können, was da los war! Man hat aber so gemerkt, dass sie mit der ganzen Thematik nix anfangen können.

Ich glaube nicht, dass grundsätzlich die Bereitschaft fehlt, sich damit auseinanderzusetzen, aber anscheinend ist es einfach so nah dran, die eigenen (Ur)Großeltern waren eben beteiligt, das ist alles so scham- und schuldbehaftet. Es ist ihnen nicht egal, es ist eher eine aktive Ablehnung da, darüber zu reden. Ich hab als Jugendlicher auch sofort blockiert, wenn mich der Geschichtslehrer mit so einer Schuldwand konfrontiert hat. Ich hab schon mit meinem Großvater drüber geredet und fand das auch arg, dass er daran beteiligt war, als Wehrmachtssoldat, aber ich wollte nicht selbst schuld daran sein. Ich wusste auch ganz lange nicht, dass es in Ebensee, 15 km von uns, ein KZ gab, das wurde irgendwie für nicht wichtig gehalten, das kann ja kein Zufall sein.

Du hast dich entschieden, ausgehend von dem Vorfall bei der Gedenkfeier, in diesen Ort zu gehen und eben nicht zu fragen, wer war das, sondern dir frische Jugendliche zu suchen, die an die Zukunft denken müssen und sozusagen behindert werden durch diese Last oder dieses Leben dort, die sind ja alle sehr unbeweglich.

Das ist ein schönes Bild, das stimmt.
Wenn ich mich mit Nationalsozialismus beschäftige, frage ich mich immer, wie sah der Alltag aus. In Österreich läuft es immer auf diese 7 Jahre zwischen 1938 und 1945 hinaus. Das ist ja nix, und doch war es so viel. Man gewinnt den Eindruck eines konzentrierten Bösen. Doch interessanter finde ich die Banalität des Bösen. Der Wahnsinn ist im Alltag passiert, die Zeit verging genauso langsam oder schnell wie jetzt, in der es für die Einzelnen auch schöne Momente gab. Das hat mich beschäftigt.
Das wollte ich auch für den Film wissen, wie geht der Alltag damit einher, dass es da diese Vergangenheit gibt, die sich immer wieder einen Weg in die Gegenwart bahnt. Diese Störaktion war ja eine ziemlich unappetitliche Art und Weise, das Thema wieder auf den Tisch zu bringen.
In ganz Europa wurde darüber berichtet. Ich war gerade in Istanbul am Drehen, und hab’s dort in der Zeitung gelesen. Trotzdem verhielt man sich in Ebensee nicht wirklich dazu, wartete nur den Sturm ab um dann wieder zur Tagesordnung überzugehen. Statt wirklich damit umzugehen, wurde gesagt, „es ist deswegen, weil wir uns viel zu viel mit der Vergangenheit beschäftigen, sperrt die Stollen zu und lasst unsere Kinder in Ruhe“. Die können eins und eins da nicht zusammenzählen. Die Ruhe aber gibt es z. B. für die Familie der Ramona nicht, die wohnen ja auch auf dem Areal! Das sind die Kanalisation und die Straßen, die für das KZ gebaut wurden. Du schaust aus dem Kinderzimmer und guckst dorthin, wo das Krematorium stand, auf dessen Fundament jetzt ein schmuckes Einfamilienhäuschen steht.

Letzte Frage: gibt es eine Bühnenbildnerische Art, die Welt zu betrachten? Du funktionierst ja auch im Film als Beobachter.

Ich denke nicht in Bühnenbildern, aber als du mir geschrieben hast, dachte ich schon, da gibt’s ne Verwandtschaft. Ich hab mit der Kamera schon kleine Bühnen für die Protagonisten gebaut. Das war auch ne Möglichkeit, die Jugendlichen einzufangen.

Es gibt diese ganzen Spiegelachsen, Bilder vom Tunnel von Außen, die Unterführung, die Brücke, unter der die Jugendlichen sitzen, das wirkt ja sehr gebaut.

Ich hab versucht visuelle Entsprechungen zu dem KZ-Tunnel zu finden. Die Jugendlichen ziehen sich oft in so höhlenhafte Unterschlupfe zurück, also auch eine Entsprechung zum Tunnel, in den man eigentlich nicht geht und der ja erst zugesperrt wurde, nachdem die rechtsradikalen Kids dort die Störaktion gemacht haben. Ich hab mich aber dafür entschieden, den Raum selber nicht zu zeigen, weil ich das stärker fand. Der ganze Ort verweigert sich dem irgendwie so, es ist für sie ein unheimliches schwarzes Loch im Berg, das den Dorffrieden bedroht. Dabei ist das ein riesen Stollensystem, 8 km lang, mit unterirdischen Fabrikanlagen, richtig imposant. Davon geht für die Jugendlichen natürlich auch eine Faszination aus. In diesem Spannungsfeld zwischen Tabuisierung und Faszination wachsen sie dort auf und wissen nicht recht, wie damit umzugehen ist.

Vielleicht ja auch was Bühnenbildnerisches, dass man sich in gewisser Weise jugendliche Begeisterungsfähigkeit für solche Orte behält und wissen will, was da die Geschichte ist!

UND IN DER MITTE, DA SIND WIR_ratscher_unterfuehrung_grade_KGPVielen Dank für das Interview!

Mehr von und über Sebastian Brameshuber: www.sebastianbrameshuber.com und http://www.inthemiddle-thefilm.com/