Interview No. 2: Stefanie Grau
STEFANIE GRAU, BÜHNENBILDNERIN, IM INTERVIEW ÜBER IHR LETZTES PROJEKT AM THEATER ESSEN: „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf
THEA HOF: Ich freue mich ganz besonders über dieses Interview: du hast das Bühnenbild zu „Tschick“ in Essen gemacht, und das wird auch an vielen anderen Theatern gespielt. Was ist denn das Besondere an eurer Inszenierung?
STEFANIE GRAU: Als ich das Buch gelesen hab, fand ich, dass die Beiden viel mehr als eine Reise machen. Das hat sich für mich sehr schnell überhöht zu einem Lebensgefühl, die beiden verbindet etwas, das sie stärkt gegenüber dem Rest der Welt, um das mal so groß zu sagen.
Auch mit dem Wissen, mag pathetisch sein, dass Wolfgang Herrndorf krank war, dass er das Schreiben an dem Buch wieder aufgenommen hat, als er wusste, dass er nicht überleben wird, fand ich, dass diese Reise eine ist, die man mal im Leben gemacht haben muss, mit dieser intensiven Dringlichkeit: wenn ich das nicht mache, hab ich mein Leben nicht gelebt, ich muss dieses krasse Gefühl einer Freundschaft, die sich über alle anderen Dinge im Leben stellt, einmal gehabt haben, eine Beziehung zwischen zwei Menschen zu erleben, sei es eine Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau oder homosexuell oder wie auch immer oder eine intensive Freundschaft.
Ich glaube, dass dieser Roman den Anspruch erhebt, dass man das gemacht haben muss. Dass es vielleicht auch die letzte Reise ist.
Mit diesen beiden Gedanken hat sich so eine krasse Höhe ergeben und mit dieser Höhe wollte ich anfangen. Ich hatte keine Lust ein Bühnenbild zu machen, dass die Reise nur bebildert.
Der Roman ist total poetisch und gleichzeitig wahnsinnig lustig. Die nehmen sich selber nicht so ernst.
Mike zum Beispiel ist ein Außenseiter und ist sich dessen auch bewusst, aber er will gar nicht mit allen befreundet sein und sich selbst dafür aufgeben. Das find ich ziemlich reif für 14. Aber er ist halt total in diese Tatjana verknallt, zumindest am Anfang, und für die macht er ja auch diese hochaufwendige Zeichnung.
Die Fassung beginnt nicht wie der Roman, sondern sie fahren sofort los. Es wird gar nicht erst das soziale Umfeld beschrieben, das ist den Beiden selber auch egal. Das heißt nicht, dass sie nicht darüber reden, aber es hat keinen Einfluss auf die Intensität der Freundschaft. Das ist genau die Energie, die ich meine, so eine intensive Freundschaft zu erleben oder die letzte Reise.
Was bedeutet ein Roadmovie auf der Bühne?
Ich denke, ein Roadmovie hat zuallererst immer etwas mit Bewegung zu tun. Mit Rastlosigkeit. Mit dem Bedürfnis ganz viel zu sehen und zu hören in kürzester Zeit.
Was bringt die Jungs in Bewegung?
Das Gefühl anders zu sein. Nicht anerkannt zu werden, sich dadurch in Bewegung setzen zu müssen, um zu gucken, ob es noch andere Wahrheiten gibt.
Die haben auch einfach Lust, was zu machen. Maiks Vater ist ja nicht da und seine Mutter ist in einer Entzugsklinik, er ist sich selbst überlassen und merkt, wie das Leben so an ihm vorbeizieht. Auch wenn er sich zuerst Tschick verweigert, spürt er schnell, dass an dem Anderen etwas ist, das ihn reizt.
Zum Bühnenbild. Ich kenne ja die Setzung, die ist überhöht oder ausgedacht und da verschwimmen vielleicht die Grenzen zwischen dem Erdachten, Erlebten, dem Erzählten, dem Märchenhaften.
Genau. Die sind ja nicht objektiv in einem Schloss. Der Thron, in Gold, und die Tiere als Teil davon und gleichzeitig Beschützer – und das Ganze hängt auch noch an einem Heißluftballon und steht auf nem riesigen Spiegel! Also die Grundform, architektonisch betrachtet, ist schon ein Schloss. Es ging aber nicht darum, ein Märchen zu machen, das würde ja die Gefahr birgen, dass der Zuschauer das mit großem Abstand sieht, sondern dass es eher ein reines Gefühl ist, was die beiden haben.
Gut, aber wieso denkt man an Märchen und was nimmt man da mit?
Das ist kein Märchen, weil die ja eine ganz realistische Geschichten erzählen. Das ist ja gerade das spannende, der Kontrast zwischen dem, was sie tatsächlich erlebt haben und dem Raum, in dem sie es nacherzählen.
Die erinnern sich ja an die Geschichte und durch dieses Erinnern steigern sie sich auf diese Höhe und dadurch werden sie zu Königen, dadurch stehen sie über den Anderen. Das ist ein Schlagabtausch, anderthalb Stunden lang: „Weist du noch? Damals?“- Das hat eine extrem hohe Energie, nur dadurch ist das auch möglich, das genau so zu erzählen. Wären die Schauspieler nicht so energetisch gewesen, wäre das Konzept nicht aufgegangen. Am Ende des Stückes ist man davon ganz voll und will das auch machen, nachspüren, was die erlebt haben! Und nur dann wird es mit dem Bühnenbild Eins. Aber eben erst zum Ende hin erklärt sich vielleicht auch der Raum, das ist das Schöne, dass man am Anfang denkt: hä?!
Und das beantworte ich einfach ungern, was bedeutet Das und Das. Ich will nicht, dass das so eindeutig lesbar ist. Es erschließt sich, denke ich, trotzdem.
Ich war letzten in diesem Pollesch-Stück, wo alles glitzert und spiegelt und es geht die ganze Zeit um Identität und Unteilbarkeit des Ichs beziehungsweise des Atoms und des Ichs im Spiegel und dass man sich beim Spielen im Boden spielen sieht und ob man dann überhabt noch spielt, wenn man sich selbst die ganze Zeit dabei zuguckt und ob das jetzt Narzissmus ist oder was weiß ich. Jedenfalls gibt’s ja bei euch auch einen spiegelnden Boden, kann man das so inhaltlich deuten oder war das einfach Teil der Schlossidee?
Es ging einfach darum, dass sie keinen Boden unter den Füßen haben.
Was natürlich nicht ganz stimmt, bei einem Spiegel braucht man ja auch eine Fläche, auf der er angebracht ist und in der man sich dann spiegelt. Eigentlich wollte ich aber vermeiden, dass man da so Bedeutung reinsteckt. Pollesch nutzt das natürlich anders.
Wer ist eigentlich der König?
Die Jungs. Ganz klar.
In dem Moment, wo sie in den Lada steigen, setzen sie die Krone auf, das funktioniert auch total gut. Natürlich hat ein König Macht, hier eher die Macht über die Selbstbestimmung. Indem sie sagen, mich interessiert diese Tatjana eben doch nicht mehr, ich hab jemanden kennengelernt, der mich viel mehr interessiert und jemand, der auch an mir interessiert ist.
Was ist das Königreich?
Das wohnt in ihnen selbst.
Der Raum ist also irgendwie eine Art Abbildung von dem Innen der Beiden nach Außen. Ich kann mir auch vorstellen, das Ganze könnte total kitschig sein, wenn es was anderes wäre.
Ich hab immer Angst, dass es zu schnell lesbar ist. Ich überprüfe Räume gerne daraufhin, ob das zu plakativ ist. Mir ist wichtig, dass der Abstand so groß wie möglich ist zwischen dem Gelesenen und dem Bild, das ich finde. Die Gefahr besteht, aber ich glaub, das hab ich ganz gut gelernt. Möglicherweise denke ich mir auch in 2 Jahren, hm, das ist noch nichtganz aufgegangen, da war ich vielleicht zu dicht dran oder so.
Wie war die Reaktion der Regisseurin oder der Schauspieler?
Naja, Jana: eh klar, alles gut. Das ist das Tolle. Schauspieler: äähh pfff hmm glaube die fanden das gut. Es hat schon zwischenzeitlich Schwierigkeiten gegeben, wenn`s darum ging, sich alles zu erdenken. Es gibt kaum Requisiten und eben auch keinen Lada oder etwas, was mit einem Roadmovie in Zusammenhang gebracht werden kann. Das ist auch sicherlich total schwer, wenn man fast nichts in den Händen hat, allem so stark und intensiv nachzugehen. So dass auch der Zuschauer das Erlebnis der Reise spürt, ohne dass einer der Anwesenden diese Reise tatsächlich gemacht hat.
Gibst du absichtlich wenig zum spielen?
Es passiert. Aber mein momentanes Verständnis für Theater ist schon, dass man dem Zuschauer versucht, die Dinge vorstellbar zu machen mit dem, was ich hab. Das ist mein Körper und meine Sprache und wie ich damit umgehen kann. Ich will irgendwie nicht, dass das Bühnenbild da hilft, weil ich glaube, es ist stärker, wenn man den Schauspieler da allein lässt.
Sehnst du dich nach was Surrealem oder nach einer neuen Form?
Ja. Total. Das ist aber keine Bedingung, ich muss nicht etwas nie Dagewesenes machen, es gab alles schon mal, aber ich hab zumindest das Bedürfnis etwas Neues in dem bestimmten Kontext zu machen. Das würde mich traurig machen, wenn ich Tschick schon mal so gesehen hätte.
Das hat mich auch nach eurer Premiere motiviert, nicht einfach nur ne Küche zu machen für Soul Kitchen.. und jetzt steht da ne Bühne, die weder was mit Film an sich noch mit diesem Film zu tun hat!
Weil es ja auch total Spaß macht, mit den Erwartungen der Zuschauer zu spielen, sie eben nicht erfüllt.
Hast du das Bedürfnis durch deine Bühne mitzuspielen, Teil der Inszenierung zu sein?
Voll. In der Regel werden meine Sachen gar nicht so bespielt. Das ist schon ein krasser Eingriff. Ich überlege mir, welchen Beitrag kann die Bühne leisten, welche Aufgabe hat sie überhabt.
Meistens ist ein Bühnenbild eine Verwandlung von einem schon bestehenden Raum, meistens ein Theaterraum. Ist das Bühnenbild ein Kostüm für den Raum, das ihm die Rolle zuschreibt, die er spielen soll?
Ich finde nicht, dass das Bühnenbild den Raum verwandelt, sondern der Theaterraum ist der Boden, auf den man etwas stellt.
Für dich ist es also eher so eine Art Ausstellungsfläche.
Ja. Ich würd ihn auch nicht mit Molton abhängen oder so, man will das ja sehen, dass man da bewusst was reinstellt. Das eine ist der Theaterraum, der Ort, an den der Zuschauer kommt und sich hinsetzt, und das Andere die Bühne, die darin bespielt wird und in der behauptet wird.
Die Bühne ist also in dem Theaterraum ausgestellt, ähnlich wie der Schauspieler, der in ihm auftritt,.
Das hat mir Johannes [Schütz], ohne dass wir uns darüber unterhalten hätten, mitgegeben. Zumindest habe ich das auch in seinen Räumen und in seinem Umgang mit Bühnenbildern gelesen.
Bei ihm gibt es aber auch Räume, die einen Rahmen bilden für den Auftritt des Schauspielers.
Aber auch dieser Raum ist immer ein in sich geschlossenes Gebilde, das in dem Theaterraum steht. Ein eigenständiges Objekt.
Das Bühnenbild geht in Kontakt, indem es nicht in Kontakt geht. Sehr abstrakt, aber das stimmt.
Ich finde das eigentlich eine der interessanten Sachen an dem Job, immer wieder mit den Bedingungen umzugehen, die jeder Raum mitbringt.
Man muss sich natürlich an die Proportionen etc. halten, und das macht ja auch Spaß. Ich hab aber auch immer Angst davor. Die Idee ist immer unabhängig von dem Ort, an dem das gespielt wird und dann denke ich „oh, hoffentlich passt das da auch rein!“.
Vielen Dank für das Interview!
Mehr über Stefanie Grau hier: www.stefaniegrau.de