Interview No. 14: Michael Simon

Über Bewegung auf der Bühne, innerhalb und außerhalb der üblichen Grenzen und warum wir als Bühnenbildner diese Grenzen brauchen.

Ueberbühne: In den letzten Jahren hast du vor allem selber inszeniert. Auf deiner Seite benützt du den Begriff „Prozessualer Raum“ als Beschreibung für den Vorgang eines sich während der Inszenierung verändernden Bühnenbildes, in der die Bewegung des Raumes Teil der Inszenierung ist. Das klingt nach einem regieführenden Bühnenbildner, was ist daran interessant für dich?

Michael Simon: Das gründet auf einer frühen Beobachtung bei der Arbeit mit dem Choreographen William Forsythe. Das Zusammenwirken von Objekten und Menschen auf der Bühne – ich nenne es mit Absicht nicht Bühnenbild sondern Objekt im Raum, genauso wie ein Tänzer auch ein Körper im Raum ist – da entsteht ein Dialog zwischen zwei Körpern im Raum. Die Sprache ist die Bewegung. So gibt es zum Beispiel im ersten Teil des Balletts „Limb’s Theorem“ ein 11×7 Meter messendes Viereck, das schräg gehängt, auf einem Punkt in der Bühnenmitte rotiert. Die Bewegung dieses Objekts, übrigens auch von einem Tänzer geführt, hat einen direkten Einfluss auf die Choreographie. Die Dynamik des Tanzes entsteht aus der Spannung zwischen Körper und Objekt in Bewegung. Diese Arbeit ist für mich ein wichtiger Ausgangspunkt gewesen für weitere Experimente mit Schauspielern und Sängern.

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Limbs Theorem

UE: Behandelst du Körper und Objekte gleichermaßen als bewegliche Subjekte im Raum?

MS: Genau. Es gibt dazu eine Vorgeschichte. Bevor die Objekte für mich so wichtig wurden gab es die Faszination für die Drehbühne. Wenn sich mit dem drehenden Boden der gesamte Raum mit den Menschen darauf in Bewegung setzt, erzeugt das einen scheinbar endlosen Erzählfluss für den Zuschauer, vergleichbar mit der Kamerafahrt beim Film. Die Drehbühne kann eine extrem kreative Herausforderung für die Performer werden, wenn ihre Bewegung bewusst als inszenatorisches Mittel und Partner der Performer verwendet wird.

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Limbs Theorem

UE: Wie ist es mit Bühnen, die sich sichtbar im Raum bewegen, also nicht eine unsichtbare technische Bewegung sondern eine offene?

MS: Dazu gehört auch der Vorgang des offenen Auf- oder Abbaus mit sichtbaren Technikern. Auch das ist für mich Teil des prozessualem Raums. Jeder Vorgang auf einer Bühne ist ein theatralischer Akt, eine technische Verwandlung ist eine Performance für sich. Meine Bühnen für Handke´s „Spiel vom Fragen“ und Jelinek´s „Prinzessinnendramen“ in Karlsruhe sind dafür gute Beispiele.

UE: Kann es sein, dass Tanz und Raum sich nicht nur zueinander verhalten, sondern es eine Hierarchie gibt, wenn ein Raumteiler die Bewegung der sich im Raum befindenden Körper bestimmt?

MS: Ja. Das klassische Beispiel ist die Wand, die von hinten nach vorne fährt und so den Raum immer weiter verengt, bis Bewegungen der Performer unmöglich werden, weil sie in die erste Zuschauerreihe fallen. Oder umgekehrt, der Raum wird freigegeben, wird immer grösser. Im Verhältnis dazu wird der menschliche Körper dabei nicht grösser sondern wirkt immer verlorener auf der Bühne. Das sind die Beispiele einfacher dynamischen Momente. Dazu braucht es ein Konzept mit variablen Bühnenobjekten, die auf den Proben bereitstehen müssen. Ich will als Bühnenbildner am Probenprozess teilhaben und die Bühnen nicht fertig konzipieren, Ich will, dass sich das Bühnenbild immer weiter entwickelt, so wie die Performer sich auf jeder Probe weiterentwickeln. Bei meinen eigenen Inszenierungen gehe ich inzwischen soweit, dass ich mir Elemente bauen lasse und noch gar nicht weiß, wie die Wände oder Objekte zueinander stehen werden, wie sich Schauspieler dazu verhalten, ob der Boden sich darunter dreht.

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Rechnitz/Schauspielhaus Graz

UE: Beispielsweise bei „Salome“ am Schauspielhaus Graz, wo du von den Werkstätten einen begrenzten Baukasten an Objekten herstellen lassen hast, und dann zusammen mit den Schauspielern und dem Stück spielen gegangen bist.

MS: Am Anfang der Proben waren die Seitenwände weiss und standen auf der Drehbühne, um immer wieder neue Einsichten in verschiedene Räume zu ermöglichen. Am Schluss hingen die Wände knapp über dem Boden, wurden bemalt und dadurch eindeutig zu Salomes Raum, aus dem sie nicht entrinnen konnte. Nur der Boden drehte sich noch mit der Videorückwand, die sich am Schluss immer weiter nach vorne schob und den Raum verengte bis zum Tod des Johannes. Die Livecam und bewegliche 8x4m grosse Rückwand mit 60 Flatscreens, dazu die Möglichkeit der Malerei, die erst auf der Bühne während der Endproben stattfand machten es mir in dieser Produktion möglich, auf die Entwicklung der Inszenierung bis zum Schluss zu reagieren.

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Salome/Schauspielhaus Graz

UE: Malerei also als kurzfristige Möglichkeit, Veränderungen vorzunehmen, im zwei-dimensionalen Raum nur mit einem Pinsel und alleine der Inspiration nachzugehen und das für die Inszenierung zu nutzen, ohne Hilfe der Werkstätten und Rücksicht auf Abgabezeiten – Malen als eine Technik des Prozessualen.

MS: Ich sehe das als Rückgewinnung der künstlerischen Freiheit auf der Bühne. Vor allem ist da die Malerei im Vorteil zur Videotechnik. Ich kann über Nacht im Arbeitslicht Wände und Prospekte übermalen. Für die Videos brauche ich schon wieder Technik.

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Salome/Schauspielhaus Graz

UE: Gibt es einen Unterschied in der Herangehensweise, ob du eine Bühne für Tanz, Oper oder Schauspiel konzipierst?

MS: Für Tanz gilt auf jeden Fall, der Körper füllt Raum, egal wie groß oder klein der ist, mit seiner Bewegung. Ich habe mit wirklich vielen Choreografen gearbeitet und den leeren Raum mit einem Objekt zu füllen, bleibt für sie immer eine Herausforderung. Die Objekte müssen beweglich sein, vielleicht auch nur um sie von der Bühne zu schieben. Oder du hängst etwas in die Luft, weil das der freie Raum ist, den die Tänzer nicht brauchen. Jede Grenze, jedes Hindernis ist ja eine Herausforderung. Umgekehrt kannst du ja sagen, Schauspieler und Sänger müssen gehört werden. Auch da kannst du nicht alles machen, ein akustisch schlechter Raum ist für Schauspieler und Sänger ein Problem, für Tänzer wiederum nicht. Ich habe inzwischen die Erfahrung gemacht, dass die Projekte, bei denen es keine Beschränkungen gab, bei denen nie jemand „Stop“ gesagt hat, nicht meine besten waren. Beschränkung fordert mich in der Kreativität.

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Iphigenie

UE: Apropos Beschränkung: für die Oper „Iphigenie auf Tauris“ in Amsterdam, hast du mehretagige Lattenkonstruktionen gebaut, die in den Zuschauerraum reinragen. Also eine Architektur, die den Raum durchschreitet und den Zuschauer-Raum und den performativen Raum durchmischt. Das ist in der Oper ja auch noch unüblicher als im Theater?

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MS: Das ist aus einer langen Zusammenarbeit mit dem Regisseur Pierre Audi an der Amsterdamer Oper entstanden. Wir haben von Anfang an die klassische Grenze zwischen Zuschauerraum, Orchestergraben und der Bühne für die Sänger aufgelöst.

Entwickelt habe ich das Bühnenbild, was du beschreibst, an der Brüsseler Oper „La Monnaie“. Da hatte ich das Bedürfnis eine Baustelle zu etablieren als Reaktion auf den mit Stuckgold überladenen Zuschauerraum. Aus den Königslogen ragten Plattformen und waren über Gerüsttreppen mit einer kleinen Spielfläche verbunden, die im Orchestergraben stand. Das Orchester wiederum saß auf der eigentlichen Bühne und dahinter, auf den Reihen eines Amphitheaters, saßen Zuschauer und der Chor. Ich würde das ein analytisches Bühnenbild nennen, das Fragen aufwirft: welche Hierarchie hat dieser Theaterraum, welchen Perspektivwechsel oder Widerstand braucht es, um diese Oper heute lebendig werden zu lassen?

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Iphigenie

UE: Was war deine Lieblingsbühne?

MS: „Newtons Casino“, zusammen mit Heiner Goebbels. Dieses Projekt startete als Rauminstallation im Theater am Turm in Frankfurt. Ausgangspunkt waren die Tagebücher Heinrich Schliemanns, in denen er die Entdeckung Trojas beschreibt. Mich faszinierte das archäologische Schichtenmodell, dass die Grundrisse der Stadt, besser verschiedener Städte, die durch Jahrhunderte jeweils auf den Trümmern der vorherigen Stadt gebaut wurden, zeigt. Dieses Schichtenmodell nahm das ganze Theater vom Boden bis zur Decke ein. Die Zuschauer saßen auf dem Balkon und die Objekte über und unter ihnen waren zum großen Teil beweglich. Alles war schwarz und durch bewegtes Licht zusätzlich animiert. Es gab also zuerst dieses Raumkonzept, aber noch keine Handling oder Besetzung. In den ersten Gesprächen

mit Heiner Goebbels kam die Idee auf, das Prinzip der Schichtung auch auf der musikalischen Ebene einzusetzen bis zur Besetzung der Stimmen. Am Schluss verband sich der Sound, die Performance der Spieler mit dem Inhalt der Ausgrabungstagebücher in dem Raum zu einer absoluten Einheit.

Das erlebt man sehr selten.

NewtonsCasino

Mehr unter: www.michaelsimon.de

Das Interview führte Thea Hof