Interview No. 12: José Luna
José Luna über Kitsch und seinen persönlichen Maximalismus, den er gerne auf deutsche Bühnen bringen würde.
Ueberbühne: Was ist Kitsch auf der Bühne?
José: Man denkt bei Kitsch an laut, bunt, Blümchen, pink, und das stimmt auch. Aber für mich als Latino ist Kitsch auf der Bühne Erinnerungen, wie Gerüche, die einen an den Kuchen der Oma erinnert oder eine schöne Tapete die mich an meine Kindheit erinnert. Oder diese schrecklichen Kristalltiere, die es in den 80ern gab, als Kind hat mich dieser Glanz immer fasziniert.
Ich hab auch schon Stücke gemacht, wo ich Alltag auf der Bühne erschaffen habe, aber seit Jahren trenne ich mich eigentlich von der Realität und erforsche das Sub- und Surreale.
Ue: Kitsch als Verbindungsstück, eine Zitatebene, die ein Gefühl hervorruft.
JL: Genau, das kann für jeden ein anderes sein. Bei der Prinzessin, in dem Stück, das du gerade gesehen hast, („Eine kurze Geschichte der Welt“ am Theater Oberhausen) freut man sich erst mal über die Prinzessin, und vielleicht erkennt man Marie Antoinette. Aber wenn du dir anschaust, was sie anhat, dann ist das eine Mischung aus Kik und richtig teurem Paillettenstoff! Da entsteht Schönheit, die billigen Produkte und die hochwertige Verarbeitung, das ist in Kombination überraschend.
Ue: Ja, das macht eben Spaß, das ist so frei in der Wahl der Mittel, und gleichzeitig so genau: man weiß ja, was zitiert wird. Sowohl bei den Kostümen als auch bei der Bühne, das hängt ja bei dir eng zusammen, beispielsweise mit den found objects im Kostüm genauso wie im Bühnenbild.
JL: Ich kämpfe im Moment viel für diese Freiheit und es kostet mich viele Nerven. In diesem Fall war klar, die Bühne wird etwas reduzierter, also war für mich klar, die Kostüme sind exaltierter. Es muss eine Balance sein. Ich bin eher Maximalist als Minimalist, und mir macht es auch in einem kleinen Raum Spaß, eine Welt mit mehreren Ebenen zu erschaffen, der die Zuschauer vielleicht irritiert. Ich verbinde Kitsch auch mit Konsum. Kitsch ernährt sich von Konsum.
Ue: Wie reagieren die Schauspieler auf Kostüme wie eine Torte?
JL: Schauspieler, die mich nicht kennen, fragen sich am Anfang immer, wenn sie die Bilder sehen, wie soll das gehen? Und während der Proben bekommen sie dann langsam mit, wie diese Verwandlung stattfindet und wie das alles entsteht und wenn das Projekt dann die richtige Richtung bekommt, und sie die Welt verstehen, die wir versuchen zu bauen, verteidigen sie das, oder wollen noch mehr.
Ue: Hast du das Gefühl, in Deutschland wird am Theater alles so ernst genommen? Und man deswegen so selten Phantasiewelten wie deine Bühnen sieht, die viel Energie und Elan und Intuition haben?
JL: Das ist bei mir ein Rückwärtsprozess. Als ich gekommen bin, war ich erst mal überfordert mit den Informationen und der Tradition von Europäischem Theater, deutschem Theater, der Volksbühne, ich habe mir viel angeguckt und dachte mir oft: was machen die hier? Diese kalten, nackten, harten Bühnen. Ich habe mich immer gefragt, wo ist die Illusion? Ich komme von ganz illusionistischem-sinnesorientiertem Theater, das auch laut und nackig und blutig sein kann, aber mit Herz und einer ganz anderen Arbeit miteinander, auch in der Kommunikation. Ich habe also versucht deutscher zu sein, hab mir Pink und Pailletten verboten, dachte, ich muss minimal sein! Das war da wahrscheinlich auch Mode, und ich liebe das auch, aber das wird irgendwann langweilig! Ich hab versucht, das zu verstehen, dieses kalte Licht, wenig Make-up, die philosophisch-ernsten Figuren. Aber irgendwann hab ich gemerkt, ich bin auch so schon genügend Existentiell, und ich hatte das Gefühl, das Theater hier bildet auch nicht diese Gesellschaft ab, es bleibt zu sehr in seiner eigenen Welt, dreht sich selbstreferenziell im Kreis. Und dann habe ich den Auftrag für Aida bekommen, für eine Menge Kostüme, und da hab ich zum ersten mal mit alten Gegenständen gearbeitet, um ihnen einen neuen Wert zu gegeben. Die Krone von Aida war aus Pfandflaschen gemacht! Das kam sehr gut an, diese Mad Max Welt, und das war für mich wie eine Befreiung, wieder so zu arbeiten, wie es mir Spaß macht, wie ich eben bin.
Ue: Du hast mir mal erzählt, du findest große Bühnen leichter als kleine, warum?
JL: Ich bin mit der Opernbühne aufgewachsen. In Caracas habe ich meine Ausbildung im großen Opernhaus gemacht, das ist ein Haus mit 2600 Zuschauerplätzen, und es war normal für mich, dass ich eine Wand planen musste, die 15,18 Meter breit oder 11 Meter hoch ist, das waren für mich übliche Maße. Und ich mag es, groß zu denken.
Ue: Für was für ein Stück würdest du gerne die Bühne machen?
JL: Ich würde gerne Goethe und Schiller machen, in meiner ästhetischen Welt. Ich bin ja frei von der Prägung der schweren, deutschen Wirkungsgeschichte, die mich begrenzen könnte. Ich denke, ich lese diese Stücke ganz anders, einfach so, wie sie da stehen. Das könnte das Publikum überraschen. Sie würden es hassen oder lieben! Deutschland hat diese tolle Möglichkeit, dass es hier so viele Theater gibt. Und langsam sieht man hier auch das Potenzial, dieses System auch Ausländern wie mir zu öffnen und sieht, dass wir auch was Neues, und Spannendes mitzubringen und zu erzählen haben und das Alte bereichern und vielfältiger machen können, und dass das eine Chance ist.
Das Interview führte Thea Hof.
Bilder: José Luna
Titelbild: Béatrice Król für das Theater Oberhausen