Interview No. 10: Katrin Brack
Ein Gespräch mit einer der ganz Großen unserer Zunft über ephemere Räume, die so selbstverständlich mit den Schauspielern auf- und wieder abtauchen, dass eigentlich gar keine Fragen mehr bleiben.
ueberbühne: Bei der Hospitanz bei „Das große Fressen“ habe ich zum ersten Mal verstanden, dass es bei Bühnenbild nicht unbedingt darum gehen muss, eine Architektur zu bauen, die einen Raum füllt, sondern dass auch eine Idee einen Raum füllen kann. Diese Idee kann auch nicht-dinglich sein. Bei diesem Bühnenbild war es zufällig das Material Schaum. Eine sehr raumfüllende Idee. Wie kommt es, dass es eben nicht zufällig Schaum ist, gibt es ein Gefühl, eine Idee, ein Bild, das sich als Entscheidung kanalisiert?
Katrin Brack: Bei mir gibt es am Anfang alle möglichen Ideen zu dem Text und da ist natürlich auch jede Menge Mist dabei. Ich versuche das dann meist auf eine einzelne zwingende Idee zu reduzieren. Zum Beispiel bei „Kampf des Negers und der Hunde“ spielt das Stück auf einer französischen Baustelle in Afrika. Ich habe also nach etwas gesucht, das die Essenz all meiner damaligen Überlegungen zu Afrika abbildet. Etwas, das alle meine Assoziationen, wie das Flirren der Luft, Mückenschwärme, Hitze und vieles andere in ein einziges Bild übersetzt. Bei mir geht das oft, oder fast immer, übers Material. Und so bin ich eben auf das rieselnde Konfetti gekommen. Für mich bleibt es zwar immer nur Material, wenn die Schauspieler aber so spielen als würden sie von Mücken gestochen, dann entwickelt der Zuschauer natürlich sofort eine ganz bestimmte Assoziation zum Konfetti. Das Spiel der Schauspieler lädt das Material also mit Bedeutung auf.
Beim Schaum in „das große Fressen“ war es ein ähnlicher Prozess. Ich hatte viele Überlegungen, musste dabei aber immer wieder an das Märchen „vom süßen Brei“ denken. So kam ich auf den Schaum, der sich auf der Bühne ausbreitet und schließlich alles unter sich begraben hat. Auch hier ergaben sich durch das Spiel der Schauspieler unterschiedliche Bedeutungen.
UE: Es wird immer von Minimalismus und Reduktion gesprochen, aber wenn ich mir das angucke, sehe ich Maximalismus. Purismus vielleicht, der aber den Raum maximal füllt.
KB: Na ja, reduziert sind die Mittel und Materialien und das Bemühen um eine starke Bildidee. Die Assoziationen und Bedeutungen, oder die Wirkung meiner Bühnenbilder sind dagegen vielfältig und oft auch Raum füllend.
UE: Dem Material die Kraft zu geben, sich so auszubreiten, ihm diesen prominenten Raum zu geben, das ist ja eine große Ansage. Dem wird eine Aufmerksamkeit geschenkt, die es sonst nie bekommt. Deswegen Maximalismus: dass eine Idee durch seine schlichte Masse den Raum in allen Dimensionen anfüllt, keinen Raum für etwas anderes lässt, außer den Schauspielern, denen du das Material zur Verfügung stellst. Versuchst du so die Kreativität der Schauspieler zu triggern?
KB: Ich versuche ihnen eher Angebote zu machen. Entweder wie vorhin beschrieben im Sinne von Assoziationsangeboten oder wie bei „Herrmannschlacht“, da habe ich Schaumstoffwürfel und -quader wie zufällig auf die Bühne geworfen. Die waren zwar schwer und unhandlich, aber daraus haben sie dann selbst ihre Räume gebaut. Das war, wenn man so will, eine rein konzeptuelle Arbeit. Sie haben geschwitzt und sich abgemüht und gekämpft, aber damit z. B. dann eine hohe Mauer gebaut.
UE: Die Schauspieler müssen die ganze Zeit mit dem Material umgehen. Wie viel von dem Umgang mit dem Raum durch die Schauspieler ist beabsichtigt?
KB: Ganz unterschiedlich. Wie gesagt, bei „Hermannschlacht“ haben sie sich selbst die Räume ausgedacht und gebaut. Das mochte ich sehr gerne.
UE: Was ist, wenn dieser Widerstand den Schauspielern zu viel wird?
KB: Natürlich wurde bei den Proben oft viel über meine Absichten und die Auswirkungen auf das Spiel diskutiert. Widerstand gab es keinen, aber es gab bestimmt einige Bühnenbilder die nicht einfach zu handeln waren. Der Regen bei „Prinz Friedrich von Homburg“ war für die Schauspieler extrem unangenehm, er läuft in die Kleidung, in die Augen, das macht dich nervlich auf Dauer kaputt. Aber das war ja auch die Intention, im Stück herrscht schließlich Krieg.
UE: Und bei „Krankenzimmer No. 6“, war es da nicht sehr heiß unter den Scheinwerfern? Das ist doch eine Nebenwirkung, die Schauspieler wahnsinnig beeinflussen kann.
KB: Auf „Krankenzimmer“ bin ich sehr stolz, ich liebe dieses Bühnenbild. Da habe ich ja gar nichts auf die Bühne gebracht. Die Beleuchtungsbrücken, an denen die großen Scheinwerfer fix befestigt sind, hängen normalerweise außerhalb der Sicht des Zuschauerraums. Meine Idee war, wir fahren die mächtigen Brücken in Sicht und lassen sie sich bewegen, über die gesamte Länge der Inszenierung, ganz langsam und unterschiedlich, teilweise bis auf den Boden. Gleichzeitig versuchen die Scheinwerfer auf die Schauspieler zu reagieren, mit ihnen zu kommunizieren, oder die Schauspieler reagieren auf die Scheinwerfer. Kurz vor Ende der Vorstellung sind alle Brücken nach oben, also außer Sicht, gefahren und die Bühne war leer. Das ganze Bühnenbild hat im Grunde genommen nichts gekostet.
Bei einer Probe haben wir einen großen Scheinwerfer ganz weit heruntergefahren, unten stand Samuel Finzi, und der Beleuchtungschef sagte schon „Stop, dem brennt die Birne weg“ und ich: „Der kann doch weggehen, wenn es ihm zu heiß wird. Fahrt weiter runter!“ Ein Schritt und er wäre außerhalb des Scheiwerfers gewesen! Aber er ist da stehengeblieben. Toll wie der Schauspieler auf die Situation reagiert hat.
UE: Vielleicht hat er auch verstanden, was du von ihm willst, dass du ihm eine Aufgabe gibst, mit der er umgehen kann. Durch etwas unsichtbares wie Geruch oder Temperatur kann man ja als Bühnenbildner Einfluss nehmen auf das Spiel. Natürlich auch, indem man Platz auf der Bühne einnimmt oder lässt. Zum Beispiel die Bühne ausfüllt mit etwas, das sich im Raum als Idee manifestiert.
KB: Ich mag das Ephemere, aber es hat natürlich mit dem jeweiligen Stück zu tun. Manchmal ist das Bühnenbild bewusst statisch und verändert sich nur durch das Licht, z. B. bei „Schande“. Ich mag es, wenn die Zuschauer die leere Bühne sehen und das Bühnenbild, genau wie die Schauspieler, auftritt und zum Ende der Inszenierung wieder abtritt. Beispielsweise kam der Nebel bei „Iwanow“ so und verschwand sogar noch vor den Schauspielern. Ich mag es auch, wenn das Bühnenbild leicht und unaufwendig aussieht.
UE: Als Zuschauer nimmt man ja an: in diesem Bühnenturm ist jetzt einfach ganz viel Nebel. Dabei weiß ich, dass es unzählige Nebelmaschinen sind, die an verschiedenen ausgeklügelten Orten angebracht sind und technisch einigermaßen kompliziert diesen Nebel herstellen. Trotzdem ist die entstehende Atmosphäre echt und es stellt sich ein Gefühl dazu her.
KB: Es hat aber gerade bei dem Nebel nicht immer funktioniert, bei dem konnte man sich auf nichts verlassen, das ist eben kein Bühnenbild, das man hinstellt und weiß, was passiert. Andererseits erfordert dieser Umstand eine gewisse Spontanität der Schauspieler und das kann sehr spannend sein.
UE: Der Raum entsteht jedes mal neu, so wie die Schauspieler auch jedes mal neu Situationen herstellen. Siehst du das Bühnenbild bewusst als Mitspieler, samt der Unberechenbarkeit, so dass Schauspieler immer wieder improvisieren müssen, wenn sich der Nebel nicht an Verabredungen hält?
KB: Wenn das klappt ist es schön. In Griechenland beim Gastspiel war es allerdings schrecklich, weil der Nebel überall war, nur nicht auf der Bühne. Oder an der Volksbühne wo wir jetzt nach ein paar Jahren wieder mehr Nebel machten, da haben die Schauspieler gemerkt, dass sie auch wieder neu damit umgehen müssen. Wenn so eine Wechselwirkung entsteht, ist das schon toll.
Trotzdem muss es mit dem Stück zu tun haben. Ich denke jetzt nicht so darüber nach, ob das Bühnenbild eine Art Mitspieler ist. Der Nebel ist es ein Mitspieler, der Schaumstoff auch, aber die Art wie etwas benutzt wird, entwickelt sich bei den Proben und ist nicht von vorneherein festgelegt.
UE: Haben diese nicht-architektonischen Ideen, die man schlecht in 1-zu-25-Modelle verpacken kann, vielleicht viel mit einer intuitiven Welt zu tun, die ja ein ganz grundsätzlicher Baustein von Bühnenbild und eben etwas ist, was sich sehr schwer in Worte oder Theorie oder Erklärungen pressen lässt?
KB: Ja, man sucht nach einer Idee und versucht eine Form oder eine Übersetzung zu finden, die dieser Idee transportiert. Idealerweise erklärt sich dann das Ergebnis selbst.
Das Interview führten Thea Hof und Marina Felix
2 Comments
Die Zusammenhänge werden in dem Interview wunderbar erklärt. Vielen Dank.
[…] Thea Hoffmann-Axthelm führte dieses Interview bereits für den Blog http://www.ueberbuehne.de. Seit August 2019 ist sie zusammen mit Robert Kraatz bei […]