Interview No. 1: Elisabeth Vogetseder

ELISABETH VOGETSEDER, BÜHNEN- UND KOSTÜMBILDNERIN, IM INTERVIEW ÜBER IHR AKTUELLES PROJEKT AM THEATER FREIBURG: „Intensivtäter“/“Seattle“ von Paul Brodowsky/von Dirk LauckeElisabeth Vogesteder Doppelabend

THEA HOF: Liebe Elisabeth, wir haben in Wien mal ein bisschen zusammen studiert, ich weiß aber ehrlich gesagt gar nicht so genau, was du gerade so treibst.
Und dann lese ich, dass du in Freiburg für eine ungewöhnliche Bühnensituation für gleich zwei Uraufführungen mit zwei verschiedenen Regisseuren sorgst.
Was ist denn an der Bühnensituation ungewöhnlich?

ELISABETH VOGETSEDER: In Freiburg experimentieren sie seit der letzten Spielzeit (vor allem im Kleinen Haus) mit unterschiedlichsten Zuschauersituationen – also Zuschauer von zwei, drei oder sogar vier Seiten.
Wir spielen hier auf der Vorbühne des Großen Hauses mit einem Zuschauerblock auf der Bühne mit 125 Zuschauern und 125 Zuschauern auf den Plätzen im Saal verteilt… nach dem ersten Stück sollten auch Plätze getauscht werden, zwecks Perspektivenwechsel.

Was meinst du macht eine nicht-gewohnheitsmäßige Bühnen- und Publikumssituation mit den Schauspielern?

Für die Schauspieler und auch die Regie ist es grundsätzlich erst mal ein wenig anstrengender beide Seiten zu bedienen – der Zuschauer kann ja nicht das gleiche Bild sehen. Auch akustisch ist ein besonderes Bewusstsein gefragt. In unserem Fall ist es sehr extrem, weil man die akustische Baurichtung des Hauses stark merkt: Die Vorbühne ist wie ein Schalltrichter zu der Zuschauerraumseite hin gebaut und verstärkt in diese Richtung wunderbar, nur in Richtung des Zuschauerblocks hinter dem technischen Portal wird’s schwieriger.

Was mit den Zuschauern?

Für den Zuschauer rückt der Akt des Zuschauens mehr in den Fokus – man sieht ja auch andere Leute beim Zugucken, man wird sich als Zuschauer seines Daseins als Voyeur bewusst, die Theatersituation an sich ist ausgestellter.
Für mich heißt das beim Arbeiten oft und viel die Zuschauerseiten zu wechseln und immer wieder zu überprüfen, wo man was wie gut sehen kann, und beim Leuchten ist das natürlich auch manchmal ein Dilemma, weil ja was für die eine Seite ein Vorderlicht für die anderen ein Rücklicht ist und man schnell die andere Seite blendet etc.

Intensivtäter  © Maurice Korbel

In dem einen Stück geht es laut Internetauftritt des Theater Freiburgs um die Frage, ob es ein richtiges Leben im falschen gibt. Wenn ich mich richtig erinnere hat das Brecht schon mal gefragt.

Adorno war’s…;)

Stimmt! Ich musste glaube ich einfach an „Der gute Mensch von Sezuan“ denken und wollte über Brecht reden..
Jedenfalls – In dem zweiten Stück geht es anscheinend um jugendliche Intensivtäter, die an dieser Stelle gleich mal als die neuen Extremisten unserer Gesellschaft vorgestellt werden.

Der Abend startet ja mit den jugendlichen „Intensivtätern“, die aber nicht selbst auftreten: Stattdessen sprechen Stellvertreterfiguren in gesellschaftlich mehr oder weniger angesehen Positionen über eben diese „Problemjugendlichen“ – Irgendwie spricht da eine diffuse Angst vor dem Fremden und dann auch über die Abgründe in den Figuren selbst.
Das richtige Leben suchen schon in einer Form alle – sie sind mit hehren Zielen einer besseren, toleranten Gesellschaft an den Start gegangen und scheitern letztendlich auch an der Angst in sich selbst. Der Text versteht sich mehr als ein „Oratorium“, die Figuren haben keine richtigen Berührpunkte oder Interaktionen textlicher Art, es wird miteinander aneinander vorbeigesprochen.
Bei „Seattle“  handelt es sich um einen sehr filmisch geschriebenen Stoff. Kern der Geschichte ist, dass eine Mutter an dem richtigen Leben festhalten will, in Form ihrer linken Ideale ihrer Jugend, und damit am heutigen Leben scheitert.

Seattle © Maurice Korbel

Worum geht es denn für dich an diesem Doppelabend?

Zentral war für mich, dass hier zwei Bilder einer Gesellschaft gezeichnet werden, aus unterschiedlichen Perspektiven.
Für mich gab es zwei Grundgedanken für die Bühne -verbindende und trennende -, zum einen geht es um eben diese unterschiedlichen (erzähl)Perspektiven auf Gesellschaft, vielleicht einmal mit Makrozoom und einmal ganz weitwinkelig, und es geht um Leben in einer großen Stadt und allem, was damit zu tun hat, Unkraut und Zerfall…

Ich kann mir vorstellen, dass wenn man gleich zwei Stücke mit einer Bühne erwischen soll, man eigentlich noch freier darin ist, einen Raum auszudenken – erwartet ja keiner, dass es zu beiden Stücken passt, da sollen lieber beide Stücke zu der Bühne passen.

Erschwerend kam hinzu, dass beide Stücke noch nicht ganz fertig waren, da ist man natürlich erst mal freier – und es war ja auch so gesetzt, dass das Bühnenbild und das Kostümbild (von Maren Geers) eine Klammer für den Abend bilden. Es war aber auch klar, dass es zwei verschiedene Bilder werden müssen. Elisabeth Vogetseder: Doppelabend Skizze boden

Wie bist du damit umgegangen und wie hast du entschieden, welche Bühne die Richtige ist?

Mit der Regisseurin Johanna Wehner habe ich an unserem gemeinsamen Grundthema „wie stehe ich im Leben/auf der Bühne“ weitergearbeitet – klar war, dass es einen Untergrund gibt, der zu einer Körperlichkeit zwingt; alles ist aus dem Gleichgewicht.
Ich habe ein Stück „Stadt“ quasi auf die Vorbühne geworfen:
Deutsch und sauber, mit schönen Pflastersteinen und akkurat gestutztem Grün – Natur zur Kultur getrimmt! – so muss es sein. Und dann macht sich doch da noch was Fremdes breit – fieses mannshohes Unkraut, Gräser, wie unter einer Lupe vergrößert.
Die Pflastersteine sind wackelig und geben bei jedem Schritt nach – auf hohen Schuhen eine Tortur, aber eine Jugendrichterin kann sich doch in solchem Terrain nicht gehen lassen, die geht auch auf 12 cm-Stilettos wie eine Gazelle wenns sein muss!
Und das Unkraut erweist sich auch als widerstandsfähiger als gedacht, springt wie ein Punchingball immer wieder an seinen Platz zurück (Slapstick lässt grüßen).
Für „Seattle“ habe ich beschlossen – gegenläufig zum Text – den Zoom wieder rauszunehmen und eine Miniaturplattenbausiedlung auf die Bühne gestellt – mein Thema war „ganz viele Leben“ – so, dass eine Geschichte erzählt wird, die stellvertretend für viele steht, die man in diesen Häusern ansiedeln kann. Oder wie eine Landschaft, die vorbeizieht, wenn man beim Autofahren aus dem Fenster guckt. Wenn man es weiterdenkt, wohnen auch die „Intensivtäter“ in eben diesen Häusern, hundertfach.

Seattle © Maurice Korbel

Das hört sich super an! Heute war TE. Wie ist es denn gelaufen?

Tatsächlich war das eine sehr entspannte TE. Die Werkstätten waren sehr früh mit dem Bühnenbild fertig und so hatten die „Intensivtäter“ schon die Wackelplatten eine Woche zuvor auf der Probebühne, und die „Seattler“ hatten die Plattenbauten schon die komplette Probenzeit. Beide Produktionen hatten schon einen kompletten Bühnenprobentag, im Original, auf der großen Bühne, und da konnte man schon absehen, wie das Ganze werden wird, wenns fertig ist.

Super, gerade sowas wie ein wackeliger Untergrund muss ja auch mitgeprobt werden. Kannst du eigentlich auch immer am Abend vor der TE nicht schlafen, weil du den Gedanken nicht los wirst, dass man ab diesem Tag höchstwahrscheinlich nicht mehr von vorne wird anfangen können (in dem in dieser Situation sehr wahrscheinlich klingenden Fall, dass alles falsch ist)?

Dieses mal hab ich echt gut geschlafen, weil eben schon klar war, dass es funktionieren wird. Ich freu mich meistens sehr auf diese Tage, an denen man alles mit der Wirklichkeit abgleichen kann, aber sie setzen einen auch immer unter Druck. Auch, weils davor so ein intimer Prozess war, nur die Schauspieler und die Regie mit Assistenten auf den Proben, und dann kommen so viel Leute dazu, Inspizienz, Ton, Licht, Technik,…
Oft sieht man dann, an was man nicht genug gedacht hat, was man beim Vorbereiten noch ignoriert hat, aber an der Grundentscheidung zweifle ich eigentlich (fast) nie… oft muss man dann den Fokus noch ein bisschen schärfer stellen z. B. indem man einzelne Farben und Oberflächen anpasst, etc.

Du Glückliche! Dann danke ich dir für das Interview, und toi toi toi für die Premiere!

Mehr von und über Elisabeth Vogetseder gibt’s hier:

www.elisabeth-vogetseder.com/

Elisabeth Vogesteder Doppelabend