Die Welten von Chaim Heinz Fenchel – zur aktuellen Ausstellung im Centrum Judaicum
Karrieren oder Lebensläufe müssen nicht linear verlaufen – Lebenswelten schon gar nicht. Was man sich bewahren kann, ist das Streben nach künstlerischem Schaffen. Im Zuge der aktuellen Migrationsbewegungen nach Europa suchen auch viele KünstlerInnen aus Syrien, dem Irak, Sudan und vielen anderen Ländern Zuflucht und vor allem ein sicheres und zukünftiges Leben für sich und ihre Kunst. Schwierig sind nicht nur die Hürden des deutschen oder europäischen Kunstmarktes, sondern überhaupt erst einmal wahrgenommen d.h. sichtbar zu werden, wenn man mitunter seine bis dato geschaffenen Arbeiten zurücklassen musste und mit wenig bis gar nichts an die Türen der hiesigen Kunstwelten oder Kunstuniversitäten anklopft. Auch das Stigma der Marke „Flüchtlingskunst“ oder „FlüchtlingskünstlerIn“ loszuwerden und auf seine/ihre genuinen künstlerischen Positionen hinzuweisen, ist eine der Schwierigkeiten der heutigen Neuankömmlinge.
Chaim Heinz Fenchel kannte den Weg der Migration, wenn auch in die andere Richtung. Unter dem Eindruck eines immer radikaleren Antisemitismus in Deutschland und Europa, wanderte er 1937 in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina aus – wohl wissend, dass er dort, wo es überhaupt keine Filmindustrie gab, seine bis dato sehr erfolgreiche Arbeit als Szenenbildner nicht fortsetzen werden könne. Er war gezwungen sich neu zu erfinden – und das tat er, ohne dabei seine künstlerischen Fähigkeiten und Visionen zurück zu lassen. Fortan arbeitete er als Innenarchitekt und Designer und erlangte mit dieser Arbeit auch über Israel hinaus einen sehr guten Ruf.
Das Centrum Judaicum in Berlin widmet sich aktuell mit der Ausstellung „Abgedreht! Bühnenwelten – Lebenswelten“ dem Künstler und Menschen Chaim Heinz Fenchel. Im ersten Teil der Ausstellung, den „Bühnenwelten“, begegnet man vor allem der Arbeit Chaim Heinz Fenchels als Setdesigner für deutsche und europäische Filmproduktionen. Bildmaterial, Fotografien und Skizzen geben Einblick in sein filmisches Schaffen in der Weimarer Republik.
C.H. Fenchel wurde 1906 in Berlin als Aron Heinz Fenchel in bürgerlichen, jüdischem Haushalt geboren und absolvierte in jungen Jahren ein Architekturstudium an der Hochschule der Bildenen Künste (der heutigen UDK Berlin). Schnell fasste er in der Filmwelt Fuß und avancierte zu einem gefragten „Filmarchitekten“. 1928 bis zu seinem, von den Nazis verhängten, Berufsverbot 1933, war er an unzähligen Filmproduktionen – vor allem Unterhaltungs- und Varietéverfilmungen, aber auch Sozialdramen – beteiligt. Darunter diverse Edgar Wallace-Verfilmungen. Er arbeitete mit den Filmemachern Wilhelm Thiele, Max Ophüls und Anatole Litvak, die wie er, 1933 durch die neu eingerichtete „Reichsfilmkammer“ und deren Verordnung zum Ausschluss aller jüdischen Filmemacher, zur Emigration gezwungen waren. Andere (nicht-jüdische) KollegInnen wie z.B. Gustav Ucicky konnten ihre Karriere fortsetzen und wurden mitunter wichtige Propagandisten des neuen gleichgeschalteten NS-Kulturapparats. Von 1933 bis 1934 folgten weitere Arbeiten in Paris, Amsterdam und Prag ehe er sich zusammen mit seiner Frau 1936 entschloss Europa zu verlassen.
Über Prag, Österreich und der Hafenstadt Trieste gelangten sie 1937, im Zuge der sogenannten fünften Alija (jüdische Einwanderung) mit vielen anderen Flüchtlingen aus Nazideutschland, Polen und Zentraleuropa schließlich nach Haifa, im heutigen Israel. Über die erste Zeit in Haifa und Tel Aviv gibt es in einen, von ihm verfassten, sehr interessanten und detailfreudigen Bericht als Audiospur, der so etwas wie den Begleitsound für den zweiten Teil der Ausstellung formt. Das sind die „Lebenswelten“, in denen es vor allem um seine Arbeit als Innenarchitekt und Designer geht, mit der er sich schnell (und schon vor der israelischen Staatsgründung 1948) einen Namen machen konnte. Während der Abschnitt der „Bühnenwelten“ eher einer engen Black Box glich (im kinematografischen Sinne oder als ein sich verdunkelndes Deutschland?), ist der folgende Raum größer, lichter und die Dichte der ausgestellten Arbeiten überschaubarer, was einem eine angenehme Ruhe und Konzentration für die einzelnen Exponate gibt. Große Aquarelle, Zeichnungen und Fotos seines Schaffens bebildern diesen neuen Abschnitt seines Lebens.
Sein erster Job folgte schon 1938 – die Inneneinrichtung des „Café Pilz“ in Tel Aviv, des ersten Kaffeehauses im damaligen Palästina. In den vierziger und fünfziger Jahren folgen etliche Cafés, Bars und Ladengeschäfte, die fortan das Bild des geschäftigen Tel Aviv prägten. Ab 1953 entwarf er auch die Interieurs von Privathäusern und zunehmend auch luxuriösen Hotels, innerhalb und außerhalb von Israel. Chaim Heinz Fenchel blieb ins hohe Alter gestalterisch aktiv. Er verstarb 1988 im Alter von 81 Jahren in Tel Aviv. Viele seiner alten Cafés gibt es nicht mehr, andere Arbeiten, wie das Hotel Ivoire in Abidjan (Cote d’Ivoire) oder das Dan Hotel in Tel Aviv tragen noch immer seine Handschrift.
Chaim Heinz Fenchel steht nicht nur für sein künstlerisches Schaffen, sondern auch dafür, dass Migration für Namen, Geschichte und vor allem Perspektive steht.
Die Austellung „abgedreht! Bühnenwelten – Lebenswelten Chaim Heinz Fenchel 1906-1988“ kann man noch bis zum 29.05.2016 im Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28-30 in Berlin Mitte besuchen.
Auch interessant: Im Deutschen Historischen Museum läuft noch bis zum 3. April „Kunst aus dem Holocaust“ mit 100 Werken aus der Gedenkstätte Yad Vashem, die während der Shoah entstanden sind.