Raum als Dramaturgie

Von Trichtern, Kratern, Löchern und anderen Gefahrenzonen auf der Bühne – ein Bericht über das sehr dichte Kolloquium „Raum als Dramaturgie“, zu dem am vergangenen Samstag die Akademie der Künste, in Kooperation mit dem Bund der Szenografen lud.

Krater

In den Räumen der Akademie der Künste in Berlin versammelten sich BühnenbildnerInnen, KostümbildnerInnen, aber auch vereinzelte RegisseurInnen und DramaturgInnen, also gefühlt ausnahmslos Fachpublikum, um sich einem Tag lang der Rolle des Raumes in Beziehung zum Regietheater zu widmen. Angezogen auch durch die hochkarätigen Gäste, die Einblicke in ihre Arbeit gaben, kam eine unerwartet große Zahl an sehr interessierten ZuhörerInnen. Hier ein kleiner subjektiver Bericht vom Gehörten:

In ihrem einführenden Vortrag „Szenografisches Wissen“ zu Beginn der Veranstaltung definiert die Theaterwissenschaftlerin Birgit Wiens Szenografie als forschenden Umgang mit dem Raum, der raumbildende Prozesse als „Szenografisches Wissen“ reflektiert und Rauminszenierung gleichwertig mit Text, Regie und Spiel behandelt. Sie berichtet von einer schier unüberschaubaren Bandbreite an künstlerischen Positionen in unserem Fach, kam aber nicht umhin, Lücken in Kritik und Forschung zu bemerken, die immerhin durch eine Vielzahl an monografischen Veröffentlichungen ergänzt werden, die Einblicke in die verschiedenen Arbeitsweisen geben; neben einer noch vermehrt zu leistendenTheoriediskussion schließt sie daher auch auf einen starken Wunsch nach öffentlicher Aufmerksamkeit durch die KünstlerInnen selbst.

Birgit Wiens erwähnt Wilfried Minks, der nicht Räume baut, sondern sie denkt, Josef Svoboda, der Szenografie als Prozess sieht, Bob Wilsons „Visual Dramaturgy“ oder Janina Audick, die vorschlägt, Bühnenkunstwerken eigene Werknamen zu geben (die nicht notwendig die des gespielten Stücks wären).

Ausführlicher spricht sie über die Bühnen von Bert Neumann, Mark Lammert, Katrin Brack, Ulrich Rasche und Aleksandar Denic und diskutiert Theater als Heterotopie, in deren ‚temporären Architekturen’ Begegnungen außerhalb des Üblichen möglich sind (Neumann), raumbildende Prozesse als „Dramaturgie-Maschinen“ (Lammert), Raum als eigensinnige Mitspieler der Aufführung (Brack), die Bühnenmaschinerie als Koautor, wenn die Sprache und der Raum in einer kompositorischen Logik gedacht werden (Rasche) oder eigensinnige Planeten, auf denen die SchauspielerInnen überleben müssen (z.B. bei Denic).

Gemeinsam ist allen erwähnten Bühnen-Systemen der Wunsch nach Behandlung als gleichberechtigter Akteur im Zusammenspiel mit Inszenierung, Text, Spiel, und somit Raum als Dramaturgie, wie er schließlich im gleichnamigen ersten Panel von Annette Kurz, Herbert Fritsch, Sabrina Zwach und Mark Lammert auf ihre jeweils sehr unterschiedliche Herangehensweise umschrieben wird.

Annette Kurz beschreibt den Aspekt der Zeit als Material in ihrer Arbeit, in der Bühnen-Skulpturen und der Wunsch nach Durchlässigkeit konkurrieren und so durch die Bühne physische Zwangsläufigkeiten entstehen, die im Spiel Bewegung herstellen, sowie die Bedeutung des Bodens als Anhaltspunkt in ihrer Arbeit.

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Die Blechtrommel, Bühne: Annette Kurz, Foto: Thalia Theater

Herbert Fritsch geht es eher um eine Bodenlosigkeit – die Schauspieler sollen „fliegen“. Zufallselement, Absichtslosigkeit, Lücken in der Planung und technische Unmöglichkeiten sind Risiken, auf die sich eingelassen wird – das Bühnenbild als Widerstand und Gegner hilft dabei, auf der Bühne durch die Autonomie des Spiels etwas entstehen zu lassen, das „man sich nicht ausdenken kann“. Es ist das Gegenteil von Rasches Ansatz (s)einer Orchestrierung von Körper und Raum – und doch geht es auch hier um ein Gesamtkunstwerk, in dem die Körper mehr durch Energie denn durch Logik durch den Raum in Bewegung gebracht werden – wie in einer Bühne, die aus einem riesigen Krater im Boden besteht, für ein Stück, das in einem Schloss spielt.

Volksbühne am Rosa-Luxemburgplatz, Berlin "der die mann" nach Texten von Konrad Bayer, Uraufführung: 18.2.2015, Regie: Herbert Fritsch, Bühne : Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Licht: Torsten König, Musik: Ingo Günther, Dramaturgie: Sabrina Zwach, : Ensemble, Copyright (C) Thomas Aurin Gleditschstr. 45, D-10781 Berlin Tel.:+49 (0)30 2175 6205 Mobil.:+49 (0)170 2933679 Veröffentlichung nur gegen Honorar zzgl. 7% MWSt. und Belegexemplar Steuer Nr.: 11/18/213/52812, UID Nr.: DE 170 902 977 Commerzbank, BLZ: 810 80 000, Konto-Nr.: 316 030 000 SWIFT-BIC: DRES DE FF 810, IBAN: DE07 81080000 0316030000

Volksbühne am Rosa-Luxemburgplatz, Berlin, „der die mann“, Regie und Bühne: Herbert Fritsch, (C) Thomas Aurin

Auch Mark Lammert berichtet von einer Bühne mit einem riesigen Trichter im Boden und auch ihm geht es darum, die SpielerInnen ins Spiel zu bringen, allerdings eher über das Raum-Schaffen, indem Bühnenbild weggeräumt bzw. reduziert wird. Auch ihm geht es viel um das Zufallselement, um sich befreit von den Regeln des Theaterbetriebs aufeinander einlassen zu können. Raum macht in diesem Sinne „aus Schicksal Handlung“ mit dem Theater als Ort und den Biografien und dem Input aller Beteiligten. Deshalb ist es ihm trotz der sehr reduzierten Bühnen wichtig, bei den Proben anwesend zu sein. Er sieht außerdem den Bühnenraum in der Verantwortung, Dramaturgie anzubieten, für den Text da zu sein, und den Raum den Text aufnehmen zu lassen.

godot_3183foto- Arno DeclairWarten auf Godot, Bühne: Mark Lammert, Foto: Arno Declair

Nach einer Pause ging es weiter mit dem Podium „Bühnen- und Kostümbild: Arbeitsbedingungen, Produktionssituation“. Der Bühnenbildner Gregor Sturm berichtet von seinem Engagement im Bund der Szenografen und der Initiative „40.000 Theatermitarbeiter*Innen treffen ihre Abgeordneten“ und wie erreichte Verbesserungen für Festangestellte zu Verschlechterungen für die (freien) KünstlerInnen führen, sowie das mehr an Produktionen zu Überarbeitung der Theaterbetriebe und kleineren Budgets führen. Die Kostümbildnerin Katharina Kromminga versucht als Kostümchefin am Theater Heidelberg, Arbeitsbedingungen für KünstlerInnen vor Ort zu verbessern; die Intendantin des Memminger Landestheaters Kathrin Mädler berichtet vom direkteren Arbeiten und Kommunizieren an einem kleinen Haus und der Ausstattungsleiter der Schaubühne Jan Pappelbaum und der Intendant Jürgen Flimm berichten aus ihrer langjährigen Erfahrung.

Lang wird über ungleiche Bezahlung und die (Un-)Möglichkeit der Offenlegung der Zahlen gestritten, und bei aller Beteuerung der Anwesenden, bei ihnen hätte es nie gender pay gaps gegeben, wird leider vergessen, dass die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern hauptsächlich daher rührt, dass Frauen mehr Schwierigkeiten haben, in die besser bezahlte „obere Liga“ zu gelangen als Männer und wohl eher nicht kausal bedingt ist durch angeblich so schlechte Verhandlungsfähigkeiten. Schade. An dieser Stelle VertreterInnen von Initiativen wie art but fair oder burning issues auf dem Podium zu haben, hätte der Diskussion sicherlich zu Gute kommen können.

Diese Diskussion zog sich dann leider auch in das letzte Panel zum Thema „Mitspielende Räume“, auf das ich persönlich am gespanntesten war, weil ich mich viel damit beschäftige, wie Räume Spieleinladungen sein können. Lars Eidinger und Valery Tscheplanova als VertreterInnen der Akteure auf der Bühne (die auch gleich verraten mussten, was sie verdienen – quelle surprise: er das doppelte wie sie) beschreiben, ganz ähnlich wie die BühnenbildkollegInnen zu Beginn des Tages, den Raum als Mitspieler, Angebot, Gefahr oder Herausforderung. Das gemeinsame „Bewohnen“ von Räumen durch die SpielerInnen und aller an einem Theaterabend Beteiligten, beschrieben sie zudem als sehr intim, besonders wenn Unterhaltung im Sinne eines „Gesprächs“ mit dem Publikum stattfindet und sich die Bühne sinnstiftend beteiligen kann.

Die Kostümbildnerinnen Jana Findeklee und Joki Tewes berichten außerdem vom Arbeitsprozess im Austausch mit den SpielerInnen und wie die Kostümentwürfe manchmal der Rolle voraus sind, wenn SchauspielerInnen beispielsweise noch an der Entwicklung der Figur arbeiten und mit einem exaltierten Kostümentwurf überrascht werden.

faust_PR_tewes_Faust, Schauspiel Köln, Kostüme und Foto: findeklee-tewes

Der Bühnenbildner Sebastian Hannack berichtet zum Schluss von seinen Erfahrungen mit der Raumbühne an der Oper Halle und nennt als raum-verändernde Faktoren ebenfalls den Zufall, begreift eingreifende Zuschauer als sinnstiftenden Zustand des half afraid and half uncomfortable auch für die Akteure und berichtet von der Lust an Veränderung und dem „Musik-Theater-Raum- Erlebnis“, das über das reine Musikerlebnis hinausreicht.

csm_Raumbuehne-Babylon-Modell-Sebastian_Hannak_e9ab8b3832 Raumbühne, Modellfoto und Entwurf: Sebastian Hannack

Die gesamte Veranstaltung hat mit ihren Panels zum Einfluss des Raums auf das Spielgeschehen sowie auf die SpielerInnen und mit dem Diskurs über Arbeits- und Produktionsbedingungen, zwei bzw. drei sehr wichtige aber auch unterschiedliche Aspekte beleuchtet. Innerhalb der Reihen der Kostüm- und BühnenbildnerInnen scheint es sehr großen Redebedarf zu geben, was Gagen, Chancengleichheit und Möglichkeiten des Berufseinstiegs angeht. Diese Fragen sollten unbedingt nochmal direkter und fokussierter angegangen werden – mit mehr Zeit zum Fragen stellen auf der einen und aus Erfahrungen berichten auf der anderen Seite.

Das Kolloqium kann sich nach der Szenographie-Konferenz 2016 in München aber durchaus als weiterer Schritt verstehen, einen offenen und interdisziplinären Diskurs über szenischen Raum anzustoßen, der in Zukunft sowohl vertieft als auch verbreitert werden kann. Von der immensen Bandbreite an künstlerischen Positionen und Theatersprachen, die durch Bühnen- und KostümbildnerInnen (mit-)geprägt werden, haben wir hier einige sehr prominente VertreterInnen kennenlernen dürfen. Das überraschend große Interesse an den KünstlerInnen, die etwas über ihre Arbeit verraten, ist eine sehr positive und motivierende Erkenntnis! Mehr davon, in Zukunft gerne unter stärkerer Einbindung junger Initiativen und der Hochschulen, gerade was die inhaltliche und personale Gestaltung angeht, wäre wünschenswert. Ein guter Vorstoß also aller Beteiligten. Auf ein nächstes Mal!

Duesseldorf_Spieler_Bühne Volker Hintermeier Foto Sebastian Hoppe

Hier eine weitere Trichterbühne von Volker Hintermeier, für „Der Spieler“ in Düsseldorf. Foto: Sebastian Hoppe

 

Siehe Auch: Interview mit Herbert Fritsch mit der Überbühne und mit Annette Kurz in der Zeit